Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 402

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 hinzu. Denn sonst würde nicht eben dasselbe, sondern mehr existiren, als      
  02 ich im Begriffe gedacht hatte, und ich könnte nicht sagen, daß gerade der      
  03 Gegenstand meines Begriffs existire. Denke ich mir auch sogar in einem      
  04 Dinge alle Realität außer einer, so kommt dadurch, daß ich sage: ein      
  05 solches mangelhaftes Ding existirt, die fehlende Realität nicht hinzu; sondern      
  06 es existirt gerade mit demselben Mangel behaftet, als ich es gedacht      
  07 habe, sonst würde etwas anderes, als ich dachte, existiren. Denke ich mir      
  08 nun ein Wesen als die höchste Realität (ohne Mangel), so bleibt noch      
  09 immer die Frage, ob es existire, oder nicht. Denn obgleich an meinem      
  10 Begriffe von dem möglichen realen Inhalte eines Dinges überhaupt nichts      
  11 fehlt, so fehlt doch noch etwas an dem Verhältnisse zu meinem ganzen      
  12 Zustande des Denkens, nämlich daß die Erkenntniß jenes Objects auch      
  13 a posteriori möglich sei. Und hier zeigt sich auch die Ursache der hiebei      
  14 obwaltenden Schwierigkeit. Wäre von einem Gegenstande der Sinne die      
  15 Rede, so würde ich die Existenz des Dinges mit dem bloßen Begriffe des      
  16 Dinges nicht verwechseln können. Denn durch den Begriff wird der Gegenstand      
  17 nur mit den allgemeinen Bedingungen einer möglichen empirischen      
  18 Erkenntniß überhaupt als einstimmig, durch die Existenz aber      
  19 als in dem Context der gesammten Erfahrung enthalten gedacht; da denn      
  20 durch die Verknüpfung mit dem Inhalte der gesammten Erfahrung der      
  21 Begriff vom Gegenstande nicht im mindesten vermehrt wird, unser Denken      
  22 aber durch denselben eine mögliche Wahrnehmung mehr bekommt. Wollen      
  23 wir dagegen die Existenz durch die reine Kategorie allein denken, so ist      
  24 kein Wunder, daß wir kein Merkmal angeben können, sie von der bloßen      
  25 Möglichkeit zu unterscheiden.      
           
  26 Unser Begriff von einem Gegenstande mag also enthalten, was und      
  27 wie viel er wolle, so müssen wir doch aus ihm herausgehen, um diesem die      
  28 Existenz zu ertheilen. Bei Gegenständen der Sinne geschieht dieses durch      
  29 den Zusammenhang mit irgend einer meiner Wahrnehmungen nach empirischen      
  30 Gesetzen; aber für Objecte des reinen Denkens ist ganz und gar      
  31 kein Mittel, ihr Dasein zu erkennen, weil es gänzlich a priori erkannt      
  32 werden müßte; unser Bewußtsein aller Existenz aber (es sei durch Wahrnehmung      
  33 unmittelbar, oder durch Schlüsse, die etwas mit der Wahrnehmung      
  34 verknüpfen) gehört ganz und gar zur Einheit der Erfahrung; und      
  35 eine Existenz außer diesem Felde kann zwar nicht schlechterdings für unmöglich      
  36 erklärt werden, sie ist aber eine Voraussetzung, die wir durch      
  37 nichts rechtfertigen können.      
           
           
     

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