Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 375 |
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01 | welche mithin frei handelt, ohne in der Kette der Naturursachen | ||||||
02 | durch äußere oder innere, aber der Zeit nach vorhergehende Gründe dynamisch | ||||||
03 | bestimmt zu sein; und diese ihre Freiheit kann man nicht allein negativ | ||||||
04 | als Unabhängigkeit von empirischen Bedingungen ansehen (denn | ||||||
05 | dadurch würde das Vernunftvermögen aufhören, eine Ursache der Erscheinungen | ||||||
06 | zu sein), sondern auch positiv durch ein Vermögen bezeichnen, | ||||||
07 | eine Reihe von Begebenheiten von selbst anzufangen, so daß in ihr selbst | ||||||
08 | nichts anfängt, sondern sie als unbedingte Bedingung jeder willkürlichen | ||||||
09 | Handlung über sich keine der Zeit nach vorhergehende Bedingungen verstattet, | ||||||
10 | indessen daß doch ihre Wirkung in der Reihe der Erscheinungen | ||||||
11 | anfängt, aber darin niemals einen schlechthin ersten Anfang ausmachen | ||||||
12 | kann. | ||||||
13 | Um das regulative Princip der Vernunft durch ein Beispiel aus dem | ||||||
14 | empirischen Gebrauch desselben zu erläutern, nicht um es zu bestätigen | ||||||
15 | (denn dergleichen Beweise sind zu transscendentalen Behauptungen untauglich), | ||||||
16 | so nehme man eine willkürliche Handlung, z. E. eine boshafte | ||||||
17 | Lüge, durch die ein Mensch eine gewisse Verwirrung in die Gesellschaft | ||||||
18 | gebracht hat, und die man zuerst ihren Bewegursachen nach, woraus sie | ||||||
19 | entstanden, untersucht und darauf beurtheilt, wie sie sammt ihren Folgen | ||||||
20 | ihm zugerechnet werden könne. In der ersten Absicht geht man seinen | ||||||
21 | empirischen Charakter bis zu den Quellen desselben durch, die man in der | ||||||
22 | schlechten Erziehung, übler Gesellschaft, zum Theil auch in der Bösartigkeit | ||||||
23 | eines für Beschämung unempfindlichen Naturells aufsucht, zum Theil | ||||||
24 | auf den Leichtsinn und Unbesonnenheit schiebt; wobei man denn die veranlassenden | ||||||
25 | Gelegenheitsursachen nicht aus der Acht läßt. In allem diesem | ||||||
26 | verfährt man, wie überhaupt in Untersuchung der Reihe bestimmender | ||||||
27 | Ursachen zu einer gegebenen Naturwirkung. Ob man nun gleich die Handlung | ||||||
28 | dadurch bestimmt zu sein glaubt: so tadelt man nichts destoweniger | ||||||
29 | den Thäter und zwar nicht wegen seines unglücklichen Naturells, nicht | ||||||
30 | wegen der auf ihn einfließenden Umstände, ja sogar nicht wegen seines | ||||||
31 | vorhergeführten Lebenswandels; denn man setzt voraus, man könne es | ||||||
32 | gänzlich bei Seite setzen, wie dieser beschaffen gewesen, und die verflossene | ||||||
33 | Reihe von Bedingungen als ungeschehen, diese That aber als gänzlich unbedingt | ||||||
34 | in Ansehung des vorigen Zustandes ansehen, als ob der Thäter | ||||||
35 | damit eine Reihe von Folgen ganz von selbst anhebe. Dieser Tadel gründet | ||||||
36 | sich auf ein Gesetz der Vernunft, wobei man diese als eine Ursache ansieht, | ||||||
37 | welche das Verhalten des Menschen unangesehen aller genannten empirischen | ||||||
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