Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 315 |
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01 | Der Antinomie der reinen Vernunft |
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02 | Vierter Widerstreit der transscendentalen Ideen. |
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03 | Antithesis. |
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04 | Es existirt überall kein schlechthin nothwendiges Wesen weder in der | ||||||
05 | Welt, noch außer der Welt als ihre Ursache. | ||||||
06 | Beweis. |
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07 | Setzet: die Welt selber oder in ihr sei ein nothwendiges Wesen, so | ||||||
08 | würde in der Reihe ihrer Veränderungen entweder ein Anfang sein, der | ||||||
09 | unbedingt nothwendig, mithin ohne Ursache wäre, welches dem dynamischen | ||||||
10 | Gesetze der Bestimmung aller Erscheinungen in der Zeit widerstreitet; | ||||||
11 | oder die Reihe selbst wäre ohne allen Anfang und, obgleich in allen ihren | ||||||
12 | Theilen zufällig und bedingt, im Ganzen dennoch schlechthin nothwendig | ||||||
13 | und unbedingt; welches sich selbst widerspricht, weil das Dasein einer | ||||||
14 | Menge nicht nothwendig sein kann, wenn kein einziger Theil derselben ein | ||||||
15 | an sich nothwendiges Dasein besitzt. | ||||||
16 | Setzet dagegen: es gebe eine schlechthin nothwendige Weltursache | ||||||
17 | außer der Welt, so würde dieselbe als das oberste Glied in der Reihe | ||||||
18 | der Ursachen der Weltveränderungen das Dasein der letzteren und ihre | ||||||
19 | Reihe zuerst anfangen.*) Nun müßte sie aber alsdann auch anfangen zu | ||||||
20 | handeln, und ihre Causalität würde in die Zeit, eben darum aber in den | ||||||
21 | Inbegriff der Erscheinungen, d. i. in die Welt, gehören, folglich sie selbst, | ||||||
*) Das Wort: Anfangen, wird in zwiefacher Bedeutung genommen. Die erste ist activ, da die Ursache eine Reihe von Zuständen als ihre Wirkung anfängt ( infit ); die zweite passiv, da die Causalität in der Ursache selbst anhebt ( fit ). Ich schließe hier aus der ersteren auf die letzte. | |||||||
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