Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 314

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01
Der Antinomie der reinen Vernunft
     
  02
Vierter Widerstreit der transscendentalen Ideen.
     
           
           
  03
Thesis.
     
           
  04 Zu der Welt gehört etwas, das entweder als ihr Theil, oder ihre Ursache      
  05 ein schlechthin nothwendiges Wesen ist.      
           
  06
Beweis.
     
           
  07 Die Sinnenwelt, als das Ganze aller Erscheinungen, enthält zugleich      
  08 eine Reihe von Veränderungen. Denn ohne diese würde selbst die Vorstellung      
  09 der Zeitreihe als einer Bedingung der Möglichkeit der Sinnenwelt      
  10 uns nicht gegeben sein.*) Eine jede Veränderung aber steht unter ihrer      
  11 Bedingung, die der Zeit nach vorhergeht, und unter welcher sie nothwendig      
  12 ist. Nun setzt ein jedes Bedingte, das gegeben ist, in Ansehung seiner      
  13 Existenz eine vollständige Reihe von Bedingungen bis zum Schlechthin      
  14 Unbedingten voraus, welches allein absolut nothwendig ist. Also mu      
  15 etwas Absolut=Nothwendiges existiren, wenn eine Veränderung als seine      
  16 Folge existirt. Dieses Nothwendige aber gehört selber zur Sinnenwelt.      
  17 Denn setzet, es sei außer derselben, so würde von ihm die Reihe der Weltveränderungen      
  18 ihren Anfang ableiten, ohne daß doch diese nothwendige      
  19 Ursache selbst zur Sinnenwelt gehörte. Nun ist dieses unmöglich. Denn      
  20 da der Anfang einer Zeitreihe nur durch dasjenige, was der Zeit nach      
  21 vorhergeht, bestimmt werden kann: so muß die oberste Bedingung des      
  22 Anfangs einer Reihe von Veränderungen in der Zeit existiren, da diese      
  23 noch nicht war (denn der Anfang ist ein Dasein, vor welchem eine Zeit      
  24 vorhergeht, darin das Ding, welches anfängt, noch nicht war). Also gehört      
  25 die Causalität der nothwendigen Ursache der Veränderungen, mithin      
  26 auch die Ursache selbst zu der Zeit, mithin zur Erscheinung (an welcher      
  27 die Zeit allein als deren Form möglich ist); folglich kann sie von der      
           
           
    *) Die Zeit geht zwar als formale Bedingung der Möglichkeit der Veränderungen vor diesen objectiv vorher; allein subjectiv und in der Wirklichkeit des Bewußtseins ist diese Vorstellung doch nur, so wie jede andere durch Veranlassung der Wahrnehmungen gegeben.      
           
     

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