Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 256 |
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Text (Kant):
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| 01 | gelange, daß ich von dem entferntern Erkenntniß (worin der Begriff | ||||||
| 02 | des Körpers noch nicht vorkommt, der aber doch davon die Bedingung | ||||||
| 03 | enthält) anfange: alles Zusammengesetzte ist veränderlich; von diesem | ||||||
| 04 | zu einem näheren gehe, der unter der Bedingung des ersteren steht: die | ||||||
| 05 | Körper sind zusammengesetzt; und von diesem allererst zu einem dritten, | ||||||
| 06 | der nunmehr das entfernte Erkenntniß (veränderlich) mit dem vorliegenden | ||||||
| 07 | verknüpft: folglich sind die Körper veränderlich: so bin ich durch eine Reihe | ||||||
| 08 | von Bedingungen (Prämissen) zu einer Erkenntniß (Conclusion) gelangt. | ||||||
| 09 | Nun läßt sich eine jede Reihe, deren Exponent (des kategorischen oder hypothetischen | ||||||
| 10 | Urtheils) gegeben ist, fortsetzen; mithin führt eben dieselbe | ||||||
| 11 | Vernunfthandlung zur ratiocinatio polysyllogistica , welches eine Reihe | ||||||
| 12 | von Schlüssen ist, die entweder auf der Seite der Bedingungen ( per prosyllogismos ), | ||||||
| 13 | oder des Bedingten ( per episyllogismos ) in unbestimmte | ||||||
| 14 | Weiten fortgesetzt werden kann. | ||||||
| 15 | Man wird aber bald inne, daß die Kette oder Reihe der Prosyllogismen, | ||||||
| 16 | d. i. der gefolgerten Erkenntnisse auf der Seite der Gründe oder | ||||||
| 17 | der Bedingungen zu einem gegebenen Erkenntniß, mit andern Worten, die | ||||||
| 18 | aufsteigende Reihe der Vernunftschlüsse, sich gegen das Vernunftvermögen | ||||||
| 19 | doch anders verhalten müsse, als die absteigende Reihe, d. i. der | ||||||
| 20 | Fortgang der Vernunft auf der Seite des Bedingten durch Episyllogismen. | ||||||
| 21 | Denn da im ersteren Falle das Erkenntniß ( conclusio ) nur als bedingt | ||||||
| 22 | gegeben ist: so kann man zu demselben vermittelst der Vernunft nicht anders | ||||||
| 23 | gelangen, als wenigstens unter der Voraussetzung, daß alle Glieder | ||||||
| 24 | der Reihe auf der Seite der Bedingungen gegeben sind (Totalität in der | ||||||
| 25 | Reihe der Prämissen), weil nur unter deren Voraussetzung das vorliegende | ||||||
| 26 | Urtheil a priori möglich ist; dagegen auf der Seite des Bedingten oder der | ||||||
| 27 | Folgerungen nur eine werdende und nicht schon ganz vorausgesetzte | ||||||
| 28 | oder gegebene Reihe, mithin nur ein potentialer Fortgang gedacht wird. | ||||||
| 29 | Daher wenn eine Erkenntniß als bedingt angesehen wird, so ist die Vernunft | ||||||
| 30 | genöthigt, die Reihe der Bedingungen in aufsteigender Linie als | ||||||
| 31 | vollendet und ihrer Totalität nach gegeben anzusehen. Wenn aber eben | ||||||
| 32 | dieselbe Erkenntniß zugleich als Bedingung anderer Erkenntnisse angesehen | ||||||
| 33 | wird, die unter einander eine Reihe von Folgerungen in absteigender | ||||||
| 34 | Linie ausmachen, so kann die Vernunft ganz gleichgültig sein, wie weit | ||||||
| 35 | dieser Fortgang sich a parte posteriori erstrecke, und ob gar überall Totalität | ||||||
| 36 | dieser Reihe möglich sei; weil sie einer dergleichen Reihe zu der vor | ||||||
| 37 | ihr liegenden Conclusion nicht bedarf, indem diese durch ihre Gründe | ||||||
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