Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 246

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 aufzubehalten; weil es sonst leichtlich geschieht, daß, nachdem der      
  02 Ausdruck die Aufmerksamkeit nicht besonders beschäftigt, sondern sich unter      
  03 dem Haufen anderer von sehr abweichender Bedeutung verliert, auch der      
  04 Gedanke verloren gehe, den er allein hätte aufbehalten können.      
           
  05 Plato bediente sich des Ausdrucks Idee so, daß man wohl sieht, er      
  06 habe darunter etwas verstanden, was nicht allein niemals von den Sinnen      
  07 entlehnt wird, sondern welches sogar die Begriffe des Verstandes, mit      
  08 denen sich Aristoteles beschäftigte, weit übersteigt, indem in der Erfahrung      
  09 niemals etwas damit Congruirendes angetroffen wird. Die Ideen      
  10 sind bei ihm Urbilder der Dinge selbst und nicht bloß Schlüssel zu möglichen      
  11 Erfahrungen, wie die Kategorien. Nach seiner Meinung flossen sie      
  12 aus der höchsten Vernunft aus, von da sie der menschlichen zu Theil geworden,      
  13 die sich aber jetzt nicht mehr in ihrem ursprünglichen Zustande      
  14 befindet, sondern mit Mühe die alten, jetzt sehr verdunkelten Ideen durch      
  15 Erinnerung (die Philosophie heißt) zurückrufen muß. Ich will mich hier      
  16 in keine litterarische Untersuchung einlassen, um den Sinn auszumachen,      
  17 den der erhabene Philosoph mit seinem Ausdrucke verband. Ich merke      
  18 nur an, daß es gar nichts Ungewöhnliches sei, sowohl im gemeinen Gespräche      
  19 als in Schriften durch die Vergleichung der Gedanken, welche ein      
  20 Verfasser über seinen Gegenstand äußert, ihn sogar besser zu verstehen, als      
  21 er sich selbst verstand, indem er seinen Begriff nicht genugsam bestimmte      
  22 und dadurch bisweilen seiner eigenen Absicht entgegen redete oder auch      
  23 dachte.      
           
  24 Plato bemerkte sehr wohl, daß unsere Erkenntnißkraft ein weit höheres      
  25 Bedürfnis fühle, als bloß Erscheinungen nach synthetischer Einheit      
  26 buchstabiren, um sie als Erfahrung lesen zu können, und daß unsere Vernunft      
  27 natürlicher Weise sich zu Erkenntnissen aufschwinge, die viel weiter      
  28 gehen, als daß irgend ein Gegenstand, den Erfahrung geben kann, jemals      
  29 mit ihnen congruiren könne, die aber nichtsdestoweniger ihre Realität      
  30 haben und keinesweges bloße Hirngespinste sind.      
           
  31 Plato fand seine Ideen vorzüglich in allem, was praktisch ist,*) d. i.      
  32 auf Freiheit beruht, welche ihrerseits unter Erkenntnissen steht, die ein      
           
    *) Er dehnte seinen Begriff freilich auch auf speculative Erkenntnisse aus, wenn sie nur rein und völlig a priori gegeben waren, sogar über die Mathematik, ob diese gleich ihren Gegenstand nirgend anders, als in der möglichen Erfahrung hat. Hierin kann ich ihm nun nicht folgen, so wenig als in der mystischen Deduction dieser Ideen oder den Übertreibungen, dadurch er sie gleichsam hypostasirte, wiewohl [Seitenumbruch] die hohe Sprache, deren er sich in diesem Felde bediente, einer milderen und der Natur der Dinge angemessenen Auslegung ganz wohl fähig ist.      
           
     

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