Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 224

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 ist, für eine eigene, für sich bestehende und vor den Dingen selbst vorhergehende      
  02 Anschauung gehalten wird. Also waren Raum und Zeit die      
  03 intelligibele Form der Verknüpfung der Dinge (Substanzen und ihrer      
  04 Zustände) an sich selbst. Die Dinge aber waren intelligibele Substanzen      
  05 ( substantiae noumena ). Gleichwohl wollte er diese Begriffe für Erscheinungen      
  06 geltend machen, weil er der Sinnlichkeit keine eigene Art der Anschauung      
  07 zugestand, sondern alle, selbst die empirische Vorstellung der      
  08 Gegenstände im Verstande suchte und den Sinnen nichts als das verächtliche      
  09 Geschäfte ließ, die Vorstellungen des ersteren zu verwirren und zu      
  10 verunstalten.      
           
  11 Wenn wir aber auch von Dingen an sich selbst etwas durch den      
  12 reinen Verstand synthetisch sagen könnten (welches gleichwohl unmöglich      
  13 ist), so würde dieses doch gar nicht auf Erscheinungen, welche nicht Dinge      
  14 an sich selbst vorstellen, gezogen werden können. Ich werde also in diesem      
  15 letzteren Falle in der transscendentalen Überlegung meine Begriffe jederzeit      
  16 nur unter den Bedingungen der Sinnlichkeit vergleichen müssen, und      
  17 so werden Raum und Zeit nicht Bestimmungen der Dinge an sich, sondern      
  18 der Erscheinungen sein: was die Dinge an sich sein mögen, weiß ich      
  19 nicht und brauche es auch nicht zu wissen, weil mir doch niemals ein      
  20 Ding anders als in der Erscheinung vorkommen kann.      
           
  21 So verfahre ich auch mit den übrigen Reflexionsbegriffen. Die Materie      
  22 ist substantia phaenomenon . Was ihr innerlich zukomme, suche ich      
  23 in allen Theilen des Raumes, den sie einnimmt, und in allen Wirkungen,      
  24 die sie ausübt, und die freilich nur immer Erscheinungen äußerer Sinne      
  25 sein können. Ich habe also zwar nichts Schlechthin=, sondern lauter Comparativ      
  26 Innerliches,das selber wiederum aus äußeren Verhältnissen besteht.      
  27 Allein das schlechthin, dem reinen Verstande nach, Innerliche der      
  28 Materie ist auch eine bloße Grille; denn diese ist überall kein Gegenstand      
  29 für den reinen Verstand; das transscendentale Object aber, welches der      
  30 Grund dieser Erscheinung sein mag, die wir Materie nennen, ist ein bloßes      
  31 Etwas, wovon wir nicht einmal verstehen würden, was es sei, wenn      
  32 es uns auch jemand sagen könnte. Denn wir können nichts verstehen,      
  33 als was ein unsern Worten Correspondirendes in der Anschauung mit sich      
  34 führt. Wenn die Klagen: Wir sehen das Innere der Dinge gar      
  35 nicht ein, so viel bedeuten sollen als: wir begreifen nicht durch den reinen      
  36 Verstand, was die Dinge, die uns erscheinen, an sich sein mögen: so sind      
  37 sie ganz unbillig und unvernünftig; denn sie wollen, daß man ohne      
           
     

[ Seite 223 ] [ Seite 225 ] [ Inhaltsverzeichnis ]