Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 220 |
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| 01 | Die transscendentale Topik enthält dagegen nicht mehr, als die angeführten | ||||||
| 02 | vier Titel aller Vergleichung und Unterscheidung, die sich dadurch | ||||||
| 03 | von Kategorien unterscheiden, daß durch jene nicht der Gegenstand | ||||||
| 04 | nach demjenigen, was seinen Begriff ausmacht (Größe, Realität), sondern | ||||||
| 05 | nur die Vergleichung der Vorstellungen, welche vor dem Begriffe von | ||||||
| 06 | Dingen vorhergeht, in aller ihrer Mannigfaltigkeit dargestellt wird. Diese | ||||||
| 07 | Vergleichung aber bedarf zuvörderst einer Überlegung, d. i. einer Bestimmung | ||||||
| 08 | desjenigen Orts, wo die Vorstellungen der Dinge, die verglichen | ||||||
| 09 | werden, hingehören, ob sie der reine Verstand denkt, oder die Sinnlichkeit | ||||||
| 10 | in der Erscheinung giebt. | ||||||
| 11 | Die Begriffe können logisch verglichen werden, ohne sich darum zu | ||||||
| 12 | bekümmern, wohin ihre Objecte gehören, ob als Noumena vor den Verstand, | ||||||
| 13 | oder als Phänomena vor die Sinnlichkeit. Wenn wir aber mit diesen | ||||||
| 14 | Begriffen zu den Gegenständen gehen wollen, so ist zuvörderst transscendentale | ||||||
| 15 | Überlegung nöthig, für welche Erkenntnißkraft sie Gegenstände | ||||||
| 16 | sein sollen, ob für den reinen Verstand, oder die Sinnlichkeit. Ohne diese | ||||||
| 17 | Überlegung mache ich einen sehr unsicheren Gebrauch von diesen Begriffen, | ||||||
| 18 | und es entspringen vermeinte synthetische Grundsätze, welche die kritische | ||||||
| 19 | Vernunft nicht anerkennen kann, und die sich lediglich auf einer transscendentalen | ||||||
| 20 | Amphibolie, d. i. einer Verwechselung des reinen Verstandesobjects | ||||||
| 21 | mit der Erscheinung, gründen. | ||||||
| 22 | In Ermangelung einer solchen transscendentalen Topik und mithin | ||||||
| 23 | durch die Amphibolie der Reflexionsbegriffe hintergangen, errichtete der | ||||||
| 24 | berühmte Leibniz ein intellectuelles System der Welt, oder glaubte | ||||||
| 25 | vielmehr der Dinge innere Beschaffenheit zu erkennen, indem er alle Gegenstände | ||||||
| 26 | nur mit dem Verstande und den abgesonderten formalen Begriffen | ||||||
| 27 | seines Denkens verglich. Unsere Tafel der Reflexionsbegriffe schafft | ||||||
| 28 | uns den unerwarteten Vortheil, das Unterscheidende seines Lehrbegriffs in | ||||||
| 29 | allen seinen Theilen und zugleich den leitenden Grund dieser eigenthümlichen | ||||||
| 30 | Denkungsart vor Augen zu legen, der auf nichts als einem Mißverstande | ||||||
| 31 | beruhte. Er verglich alle Dinge bloß durch Begriffe mit einander | ||||||
| 32 | und fand, wie natürlich, keine andere Verschiedenheiten als die, | ||||||
| 33 | durch welche der Verstand seine reinen Begriffe von einander unterscheidet. | ||||||
| 34 | Die Bedingungen der sinnlichen Anschauung, die ihre eigene Unterschiede | ||||||
| 35 | bei sich führen, sah er nicht für ursprünglich an; denn die Sinnlichkeit | ||||||
| 36 | war ihm nur eine verworrene Vorstellungsart und kein besonderer Quell | ||||||
| 37 | der Vorstellungen; Erscheinung war ihm die Vorstellung des Dinges | ||||||
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