Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 210 |
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01 | welcher wir auch die Möglichkeit nicht einsehen können, und das wäre das | ||||||
02 | Noumenon in positiver Bedeutung. | ||||||
03 | Die Lehre von der Sinnlichkeit ist nun zugleich die Lehre von den | ||||||
04 | Noumenen im negativen Verstande, d. i. von Dingen, die der Verstand | ||||||
05 | sich ohne diese Beziehung auf unsere Anschauungsart, mithin nicht bloß | ||||||
06 | als Erscheinungen, sondern als Dinge an sich selbst denken muß, von | ||||||
07 | denen er aber in dieser Absonderung zugleich begreift, daß er von seinen | ||||||
08 | Kategorien in dieser Art sie zu erwägen keinen Gebrauch machen könne: | ||||||
09 | weil, da diese nur in Beziehung auf die Einheit der Anschauungen in | ||||||
10 | Raum und Zeit Bedeutung haben, sie eben diese Einheit auch nur wegen | ||||||
11 | der bloßen Idealität des Raums und der Zeit durch allgemeine Verbindungsbegriffe | ||||||
12 | a priori bestimmen können. Wo diese Zeiteinheit nicht angetroffen | ||||||
13 | werden kann, mithin beim Noumenon, da hört der ganze Gebrauch, | ||||||
14 | ja selbst alle Bedeutung der Kategorien völlig auf; denn selbst die | ||||||
15 | Möglichkeit der Dinge, die den Kategorien entsprechen sollen, läßt sich | ||||||
16 | gar nicht einsehen, weshalb ich mich nur auf das berufen darf, was ich in | ||||||
17 | der allgemeinen Anmerkung zum vorigen Hauptstücke gleich zu Anfang | ||||||
18 | anführte. Nun kann aber die Möglichkeit eines Dinges niemals bloß aus | ||||||
19 | dem Nichtwidersprechen eines Begriffs desselben, sondern nur dadurch, | ||||||
20 | daß man diesen durch eine ihm correspondirende Anschauung belegt, bewiesen | ||||||
21 | werden. Wenn wir also die Kategorien auf Gegenstände, die nicht | ||||||
22 | als Erscheinungen betrachtet werden, anwenden wollten, so müßten wir | ||||||
23 | eine andere Anschauung als die sinnliche zum Grunde legen, und alsdann | ||||||
24 | wäre der Gegenstand ein Noumenon in positiver Bedeutung. Da nun | ||||||
25 | eine solche, nämlich die intellectuelle Anschauung, schlechterdings außer | ||||||
26 | unserem Erkenntnißvermögen liegt, so kann auch der Gebrauch der Kategorien | ||||||
27 | keinesweges über die Grenze der Gegenstände der Erfahrung hinausreichen; | ||||||
28 | und den Sinnenwesen correspondiren zwar freilich Verstandeswesen, | ||||||
29 | auch mag es Verstandeswesen geben, auf welche unser sinnliches | ||||||
30 | Anschauungsvermögen gar keine Beziehung hat, aber unsere Verstandesbegriffe, | ||||||
31 | als bloße Gedankenformen für unsere sinnliche Anschauung, reichen | ||||||
32 | nicht im mindesten auf diese hinaus; was also von uns Noumenon genannt | ||||||
33 | wird, muß als ein solches nur in negativer Bedeutung verstanden | ||||||
34 | werden. | ||||||
35 | Wenn ich alles Denken (durch Kategorien) aus einer empirischen Erkenntniß | ||||||
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