Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 201 |
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01 | Existenz unser selbst in verschiedenem Zustande durch äußere Anschauung | ||||||
02 | uns faßlich machen; wovon der eigentliche Grund dieser ist, daß alle Veränderung | ||||||
03 | etwas Beharrliches in der Anschauung voraussetzt, um auch | ||||||
04 | selbst nur als Veränderung wahrgenommen zu werden, im inneren Sinn | ||||||
05 | aber gar keine beharrliche Anschauung angetroffen wird. - Endlich ist die | ||||||
06 | Kategorie der Gemeinschaft ihrer Möglichkeit nach gar nicht durch die | ||||||
07 | bloße Vernunft zu begreifen und also die objective Realität dieses Begriffs | ||||||
08 | ohne Anschauung und zwar äußere im Raum nicht einzusehen möglich. | ||||||
09 | Denn wie will man sich die Möglichkeit denken, daß, wenn mehrere | ||||||
10 | Substanzen existiren, aus der Existenz der einen auf die Existenz der anderen | ||||||
11 | wechselseitig etwas (als Wirkung) folgen könne, und also, weil in | ||||||
12 | der ersteren etwas ist, darum auch in den anderen etwas sein müsse, was | ||||||
13 | aus der Existenz der letzteren allein nicht verstanden werden kann? Denn | ||||||
14 | dieses wird zur Gemeinschaft erfordert, ist aber unter Dingen, die sich ein | ||||||
15 | jedes durch seine Subsistenz völlig isoliren, gar nicht begreiflich. Daher | ||||||
16 | Leibniz, indem er den Substanzen der Welt, nur wie sie der Verstand | ||||||
17 | allein denkt, eine Gemeinschaft beilegte, eine Gottheit zur Vermittelung | ||||||
18 | brauchte; denn aus ihrem Dasein allein schien sie ihm mit Recht unbegreiflich. | ||||||
19 | Wir können aber die Möglichkeit der Gemeinschaft (der Substanzen | ||||||
20 | als Erscheinungen) uns gar wohl faßlich machen, wenn wir sie | ||||||
21 | uns im Raume, also in der äußeren Anschauung vorstellen. Denn dieser | ||||||
22 | enthält schon a priori formale äußere Verhältnisse als Bedingungen der | ||||||
23 | Möglichkeit der realen (in Wirkung und Gegenwirkung, mithin der Gemeinschaft) | ||||||
24 | in sich. - Eben so kann leicht dargethan werden, daß die | ||||||
25 | Möglichkeit der Dinge als Größen und also die objective Realität der | ||||||
26 | Kategorie der Größe auch nur in der äußeren Anschauung könne dargelegt | ||||||
27 | und vermittelst ihrer allein hernach auch auf den inneren Sinn angewandt | ||||||
28 | werden. Allein ich muß, um Weitläuftigkeit zu vermeiden, die Beispiele | ||||||
29 | davon dem Nachdenken des Lesers überlassen. | ||||||
30 | Diese ganze Bemerkung ist von großer Wichtigkeit, nicht allein um | ||||||
31 | unsere vorhergehende Widerlegung des Idealisms zu bestätigen, sondern | ||||||
32 | vielmehr noch, um, wenn vom Selbsterkenntnisse aus dem bloßen inneren | ||||||
33 | Bewußtsein und der Bestimmung unserer Natur ohne Beihülfe äußerer | ||||||
34 | empirischen Anschauungen die Rede sein wird, uns die Schranken der | ||||||
35 | Möglichkeit einer solchen Erkenntniß anzuzeigen. | ||||||
36 | Die letzte Folgerung aus diesem ganzen Abschnitte ist also: Alle | ||||||
37 | Grundsätze des reinen Verstandes sind nichts weiter als Principien a priori | ||||||
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