Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 198 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | Die Grundsätze der Modalität also sagen von einem Begriffe nichts anders, | ||||||
02 | als die Handlung des Erkenntnißvermögens, dadurch er erzeugt wird. | ||||||
03 | Nun heißt ein Postulat in der Mathematik der praktische Satz, der nichts | ||||||
04 | als die Synthesis enthält, wodurch wir einen Gegenstand uns zuerst geben | ||||||
05 | und dessen Begriff erzeugen, z. B. mit einer gegebenen Linie aus einem | ||||||
06 | gegebenen Punkt auf einer Ebene einen Cirkel zu beschreiben; und ein dergleichen | ||||||
07 | Satz kann darum nicht bewiesen werden, weil das Verfahren, was | ||||||
08 | er fordert, gerade das ist, wodurch wir den Begriff von einer solchen Figur | ||||||
09 | zuerst erzeugen. So können wir demnach mit eben demselben Rechte die | ||||||
10 | Grundsätze der Modalität postuliren, weil sie ihren Begriff von Dingen | ||||||
11 | überhaupt nicht vermehren,*) sondern nur die Art anzeigen, wie er überhaupt | ||||||
12 | mit der Erkenntnißkraft verbunden wird. | ||||||
13 | Allgemeine Anmerkung zum System der Grundsätze. |
||||||
14 | Es ist etwas sehr Bemerkungswürdiges, daß wir die Möglichkeit | ||||||
15 | keines Dinges nach der bloßen Kategorie einsehen können, sondern immer | ||||||
16 | eine Anschauung bei der Hand haben müssen, um an derselben die objective | ||||||
17 | Realität des reinen Verstandesbegriffs darzulegen. Man nehme z. B. | ||||||
18 | die Kategorien der Relation. Wie 1) etwas nur als Subject, nicht als | ||||||
19 | bloße Bestimmung anderer Dinge existiren, d. i. Substanz sein könne, | ||||||
20 | oder wie 2) darum, weil etwas ist, etwas anderes sein müsse, mithin wie | ||||||
21 | etwas überhaupt Ursache sein könne, oder 3) wie, wenn mehrere Dinge | ||||||
22 | dasind, daraus, daß eines derselben da ist, etwas auf die übrigen und so | ||||||
23 | wechselseitig Folge, und auf diese Art eine Gemeinschaft von Substanzen | ||||||
24 | Statt haben könne, läßt sich gar nicht aus bloßen Begriffen einsehen. | ||||||
25 | Eben dieses gilt auch von den übrigen Kategorien, z. B. wie ein Ding | ||||||
26 | mit vielen zusammen einerlei, d. i. eine Größe, sein könne u. s. w. So | ||||||
*) Durch die Wirklichkeit eines Dinges setze ich freilich mehr als die Möglichkeit, aber nicht in dem Dinge; denn das kann niemals mehr in der Wirklichkeit enthalten, als was in dessen vollständiger Möglichkeit enthalten war. Sondern da die Möglichkeit bloß eine Position des Dinges in Beziehung auf den Verstand (dessen empirischen Gebrauch) war, so ist die Wirklichkeit zugleich eine Verknüpfung desselben mit der Wahrnehmung. | |||||||
[ Seite 197 ] [ Seite 199 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |