Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 196 |
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| 01 | des Denkens oder der Erkenntniß durch Begriffe), ob sie gleich | ||||||
| 02 | möglich wären, können wir uns doch auf keinerlei Weise erdenken und faßlich | ||||||
| 03 | machen; aber wenn wir es auch könnten, so würden sie doch nicht zur | ||||||
| 04 | Erfahrung als dem einzigen Erkenntniß gehören, worin uns Gegenstände | ||||||
| 05 | gegeben werden. Ob andere Wahrnehmungen, als überhaupt zu unserer | ||||||
| 06 | gesammten möglichen Erfahrung gehören, und also ein ganz anderes Feld | ||||||
| 07 | der Materie noch stattfinden könne, kann der Verstand nicht entscheiden, | ||||||
| 08 | er hat es nur mit der Synthesis dessen zu thun, was gegeben ist. Sonst | ||||||
| 09 | ist die Armseligkeit unserer gewöhnlichen Schlüsse, wodurch wir ein großes | ||||||
| 10 | Reich der Möglichkeit herausbringen, davon alles Wirkliche (aller Gegenstand | ||||||
| 11 | der Erfahrung) nur ein kleiner Theil sei, sehr in die Augen fallend. | ||||||
| 12 | Alles Wirkliche ist möglich; hieraus folgt natürlicher Weise nach den logischen | ||||||
| 13 | Regeln der Umkehrung der bloß particulare Satz: einiges Mögliche | ||||||
| 14 | ist wirklich, welches denn so viel zu bedeuten scheint, als: es ist vieles | ||||||
| 15 | möglich, was nicht wirklich ist. Zwar hat es den Anschein, als könne man | ||||||
| 16 | auch geradezu die Zahl des Möglichen über die des Wirklichen dadurch | ||||||
| 17 | hinaussetzen, weil zu jener noch etwas hinzukommen muß, um diese auszumachen. | ||||||
| 18 | Allein dieses Hinzukommen zum Möglichen kenne ich nicht. | ||||||
| 19 | Denn was über dasselbe noch zugesetzt werden sollte, wäre unmöglich. Es | ||||||
| 20 | kann nur zu meinem Verstande etwas über die Zusammenstimmung mit | ||||||
| 21 | den formalen Bedingungen der Erfahrung, nämlich die Verknüpfung mit | ||||||
| 22 | irgend einer Wahrnehmung hinzukommen; was aber mit dieser nach empirischen | ||||||
| 23 | Gesetzen verknüpft ist, ist wirklich, ob es gleich unmittelbar nicht | ||||||
| 24 | wahrgenommen wird. Daß aber im durchgängigen Zusammenhange mit | ||||||
| 25 | dem, was mir in der Wahrnehmung gegeben ist, eine andere Reihe von | ||||||
| 26 | Erscheinungen, mithin mehr als eine einzige alles befassende Erfahrung | ||||||
| 27 | möglich sei, läßt sich aus dem, was gegeben ist, nicht schließen, und ohne | ||||||
| 28 | daß irgend etwas gegeben ist, noch viel weniger, weil ohne Stoff sich überall | ||||||
| 29 | nichts denken läßt. Was unter Bedingungen, die selbst bloß möglich | ||||||
| 30 | sind, allein möglich ist, ist es nicht in aller Absicht. In dieser aber | ||||||
| 31 | wird die Frage genommen, wenn man wissen will, ob die Möglichkeit der | ||||||
| 32 | Dinge sich weiter erstrecke, als Erfahrung reichen kann. | ||||||
| 33 | Ich habe dieser Fragen nur Erwähnung gethan, um keine Lücke in | ||||||
| 34 | demjenigen zu lassen, was der gemeinen Meinung nach zu den Verstandesbegriffen | ||||||
| 35 | gehört. In der That ist aber die absolute Möglichkeit (die in | ||||||
| 36 | aller Absicht gültig ist) kein bloßer Verstandesbegriff und kann auf keinerlei | ||||||
| 37 | Weise von empirischem Gebrauche sein, sondern er gehört allein der | ||||||
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