Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 150 |
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| 01 | (Menge vorhergegebener Theile) angeschaut, welches eben nicht der Fall | ||||||
| 02 | bei jeder Art Größen, sondern nur derer ist, die von uns extensiv als | ||||||
| 03 | solche vorgestellt und apprehendirt werden. | ||||||
| 04 | Auf diese successive Synthesis der productiven Einbildungskraft in | ||||||
| 05 | der Erzeugung der Gestalten gründet sich die Mathematik der Ausdehnung | ||||||
| 06 | (Geometrie) mit ihren Axiomen, welche die Bedingungen der sinnlichen | ||||||
| 07 | Anschauung a priori ausdrücken, unter denen allein das Schema | ||||||
| 08 | eines reinen Begriffs der äußeren Erscheinung zu Stande kommen kann: | ||||||
| 09 | z. E. zwischen zwei Punkten ist nur eine gerade Linie möglich; zwei gerade | ||||||
| 10 | Linien schließen keinen Raum ein etc. Dies sind die Axiomen, welche | ||||||
| 11 | eigentlich nur Größen ( quanta ) als solche betreffen. | ||||||
| 12 | Was aber die Größe ( quantitas ) d. i. die Antwort auf die Frage: | ||||||
| 13 | wie groß etwas sei, betrifft, so giebt es in Ansehung derselben, obgleich | ||||||
| 14 | verschiedene dieser Sätze synthetisch und unmittelbar gewiß ( indemonstrabilia ) | ||||||
| 15 | sind, dennoch im eigentlichen Verstande keine Axiomen. Denn daß | ||||||
| 16 | Gleiches, zu Gleichem hinzugethan oder von diesem abgezogen, ein Gleiches | ||||||
| 17 | gebe, sind analytische Sätze, indem ich mir der Identität der einen | ||||||
| 18 | Größenerzeugung mit der andern unmittelbar bewußt bin; Axiomen aber | ||||||
| 19 | sollen synthetische Sätze a priori sein. Dagegen sind die evidenten Sätze | ||||||
| 20 | des Zahlenverhältnisses zwar allerdings synthetisch, aber nicht allgemein, | ||||||
| 21 | wie die der Geometrie und eben um deswillen auch nicht Axiomen, sondern | ||||||
| 22 | können Zahlformeln genannt werden. Daß 7+5 = 12 sei, ist kein | ||||||
| 23 | analytischer Satz. Denn ich denke weder in der Vorstellung von 7, noch | ||||||
| 24 | von 5, noch in der Vorstellung von der Zusammensetzung beider die Zahl | ||||||
| 25 | 12 (daß ich diese in der Addition beider denken solle, davon ist hier nicht | ||||||
| 26 | die Rede; denn bei dem analytischen Satze ist nur die Frage, ob ich das | ||||||
| 27 | Prädicat wirklich in der Vorstellung des Subjects denke). Ob er aber | ||||||
| 28 | gleich synthetisch ist, so ist er doch nur ein einzelner Satz. So fern hier | ||||||
| 29 | bloß auf die Synthesis des Gleichartigen (der Einheiten) gesehen wird, | ||||||
| 30 | so kann die Synthesis hier nur auf eine einzige Art geschehen, wiewohl | ||||||
| 31 | der Gebrauch dieser Zahlen nachher allgemein ist. Wenn ich sage: durch | ||||||
| 32 | drei Linien, deren zwei zusammengenommen größer sind als die dritte, | ||||||
| 33 | läßt sich ein Triangel zeichnen: so habe ich hier die bloße Function der | ||||||
| 34 | productiven Einbildungskraft, welche die Linien größer und kleiner ziehen, | ||||||
| 35 | imgleichen nach allerlei beliebigen Winkeln kann zusammenstoßen lassen. | ||||||
| 36 | Dagegen ist die Zahl 7 nur auf eine einzige Art möglich und auch die | ||||||
| 37 | Zahl 12, die durch die Synthesis der ersteren mit 5 erzeugt wird. Dergleichen | ||||||
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