Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 072 |
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01 | nicht etwas wirklich den Substanzen Inhärirendes, dennoch aber Existirendes, | ||||||
02 | ja die nothwendige Bedingung der Existenz aller Dinge sein | ||||||
03 | müssen, auch übrig bleiben, wenn gleich alle existirende Dinge aufgehoben | ||||||
04 | werden: so kann man es dem guten Berkeley wohl nicht verdenken, wenn | ||||||
05 | er die Körper zu bloßem Schein herabsetzte; ja es müßte sogar unsere | ||||||
06 | eigene Existenz, die auf solche Art von der für sich bestehenden Realität | ||||||
07 | eines Undinges wie die Zeit abhängig gemacht wäre, mit dieser in lauter | ||||||
08 | Schein verwandelt werden, eine Ungereimtheit, die sich bisher noch niemand | ||||||
09 | hat zu Schulden kommen lassen. | ||||||
10 | IV In der natürlichen Theologie, da man sich einen Gegenstand | ||||||
11 | denkt, der nicht allein für uns gar kein Gegenstand der Anschauung, sondern | ||||||
12 | der ihm selbst durchaus kein Gegenstand der sinnlichen Anschauung | ||||||
13 | sein kann, ist man sorgfältig darauf bedacht, von aller seiner Anschauung | ||||||
14 | (denn dergleichen muß alles sein Erkenntniß sein und nicht denken, welches | ||||||
15 | jederzeit Schranken beweiset) die Bedingungen der Zeit und des | ||||||
16 | Raumes wegzuschaffen. Aber mit welchem Rechte kann man dieses thun, | ||||||
17 | wenn man beide vorher zu Formen der Dinge an sich selbst gemacht hat | ||||||
18 | und zwar solchen, die als Bedingungen der Existenz der Dinge a priori | ||||||
19 | übrig bleiben, wenn man gleich die Dinge selbst aufgehoben hätte: denn | ||||||
20 | als Bedingungen alles Daseins überhaupt müßten sie es auch vom Dasein | ||||||
21 | Gottes sein. Es bleibt nichts übrig, wenn man sie nicht zu objectiven | ||||||
22 | Formen aller Dinge machen will, als daß man sie zu subjectiven Formen | ||||||
23 | unserer äußeren sowohl als inneren Anschauungsart macht, die darum | ||||||
24 | sinnlich heißt, weil sie nicht ursprünglich, d. i. eine solche, ist, durch | ||||||
25 | die selbst das Dasein des Objects der Anschauung gegeben wird (und die, | ||||||
26 | so viel wir einsehen, nur dem Urwesen zukommen kann), sondern von dem | ||||||
27 | Dasein des Objects abhängig, mithin nur dadurch, daß die Vorstellungsfähigkeit | ||||||
28 | des Subjects durch dasselbe afficirt wird, möglich ist. | ||||||
29 | Es ist auch nicht nöthig, daß wir die Anschauungsart in Raum und | ||||||
30 | Zeit auf die Sinnlichkeit des Menschen einschränken; es mag sein, daß | ||||||
31 | alles endliche denkende Wesen hierin mit dem Menschen nothwendig übereinkommen | ||||||
32 | müsse (wiewohl wir dieses nicht entscheiden können), so hört | ||||||
33 | sie um dieser Allgemeingültigkeit Willen doch nicht auf Sinnlichkeit zu sein, | ||||||
34 | eben darum weil sie abgeleitet ( intuitus derivativus ), nicht ursprünglich | ||||||
35 | ( intuitus originarius ), mithin nicht intellectuelle Anschauung ist, als | ||||||
36 | welche aus dem eben angeführten Grunde allein dem Urwesen, niemals | ||||||
37 | aber einem seinem Dasein sowohl als seiner Anschauung nach (die sein | ||||||
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