Kant: AA II, Träume eines Geistersehers, ... , Seite 330

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 man wohl behaupten, daß dergleichen Wesen von einander ähnlicher Natur      
  02 nur vermittelst anderer (körperlichen Dinge) von fremder Beschaffenheit      
  03 in Gemeinschaft stehen könnten, indem dieses letztere noch viel räthselhafter      
  04 als das erste ist?      
           
  05 Diese immaterielle Welt kann also als ein für sich bestehendes      
  06 Ganze angesehen werden, deren Theile untereinander in wechselseitiger Verknüpfung      
  07 und Gemeinschaft stehen, auch ohne Vermittelung körperlicher      
  08 Dinge, so daß dieses letztere Verhältniß zufällig ist und nur einigen zukommen      
  09 darf, ja, wo es auch angetroffen wird, nicht hindert, daß nicht eben      
  10 die immaterielle Wesen, welche durch die Vermittelung der Materie ineinander      
  11 wirken, außer diesem noch in einer besondern und durchgängigen      
  12 Verbindung stehen und jederzeit untereinander als immaterielle Wesen      
  13 wechselseitige Einflüsse ausüben, so daß das Verhältniß derselben vermittelst      
  14 der Materie nur zufällig und auf einer besonderen göttlichen Anstalt beruht,      
  15 jene hingegen natürlich und unauflöslich ist.      
           
  16 Indem man denn auf solche Weise alle Principien des Lebens in der      
  17 ganzen Natur als so viel körperliche Substanzen untereinander in Gemeinschaft,      
  18 aber auch zum Theil mit der Materie vereinigt zusammennimmt,      
  19 so gedenkt man sich ein großes Ganze der immateriellen Welt, eine unermeßliche,      
  20 aber unbekannte Stufenfolge von Wesen und thätigen Naturen,      
  21 durch welche der todte Stoff der Körperwelt allein belebt wird. Bis auf      
  22 welche Glieder aber der Natur Leben ausgebreitet sei, und welche diejenigen      
  23 Grade desselben seien, die zunächst an die völlige Leblosigkeit grenzen, ist      
  24 vielleicht unmöglich jemals mit Sicherheit auszumachen. Der Hylozoismus      
  25 belebt alles, der Materialismus dagegen, wenn er genau erwogen      
  26 wird, tödtet alles. Maupertuis maß den organischen Nahrungstheilchen      
  27 aller Thiere den niedrigsten Grad Leben bei; andere Philosophen sehen an      
  28 ihnen nichts als todte Klumpen, welche nur dienen, den Hebezeug der      
  29 thierischen Maschinen zu vergrößern. Das ungezweifelte Merkmal des      
  30 Lebens an dem, was in unsere äußere Sinne fällt, ist wohl die freie Bewegung,      
  31 die da blicken läßt, daß sie aus Willkür entsprungen sei; allein der      
  32 Schluß ist nicht sicher, daß, wo dieses Merkmal nicht angetroffen wird, auch      
  33 kein Grad des Lebens befindlich sei. Boerhaave sagt an einem Orte: Das      
  34 Thier ist eine Pflanze, die ihre Wurzel im Magen (inwendig) hat.      
  35 Vielleicht könnte ein anderer eben so ungetadelt mit diesen Begriffen spielen      
  36 und sagen: Die Pflanze ist ein Thier, das seinen Magen in      
  37 der Wurzel (äußerlich) hat. Daher auch den letzteren die Organen der      
           
     

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