Kant: AA II, Untersuchung über die ... , Seite 293 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | sicher, daß ihr alles wißt, was dazu erfordert wird, und da ihr sie dessen | ||||||
02 | ungeachtet wagt, so gerathet ihr in Irrthümer. Daher ist es möglich, den | ||||||
03 | Irrthümern zu entgehen, wenn man gewisse und deutliche Erkenntnisse | ||||||
04 | aufsucht, ohne gleichwohl sich der Definitionen so leicht anzumaßen. Ferner, | ||||||
05 | ihr könnt mit Sicherheit auf einen beträchtlichen Theil einer gewissen | ||||||
06 | Folge schließen. Erlaubt euch ja nicht, den Schluß auf die ganze Folge | ||||||
07 | zu ziehen, so gering als auch der Unterschied zu sein scheint. Ich gebe zu, | ||||||
08 | daß der Beweis gut sei, in dessen Besitze man ist, darzuthun, daß die Seele | ||||||
09 | nicht Materie sei. Hütet euch aber, daraus zu schließen, daß die Seele nicht | ||||||
10 | von materialer Natur sei. Denn hierunter versteht jedermann nicht allein, | ||||||
11 | daß die Seele keine Materie sei, sondern auch nicht eine solche einfache | ||||||
12 | Substanz, die ein Element der Materie sein könne. Dieses erfordert einen | ||||||
13 | besondern Beweis, nämlich, daß dieses denkende Wesen nicht so, wie ein | ||||||
14 | körperliches Element im Raume sei, durch Undurchdringlichkeit, noch mit | ||||||
15 | andern zusammen ein Ausgedehntes und einen Klumpen ausmachen | ||||||
16 | könne; wovon wirklich noch kein Beweis gegeben worden, der, wenn man | ||||||
17 | ihn ausfindig machte, die unbegreifliche Art anzeigen würde, wie ein Geist | ||||||
18 | im Raume gegenwärtig sei. | ||||||
19 | § 3. |
||||||
20 | Die Gewißheit der ersten Grundwahrheiten in der Metaphysik |
||||||
21 | ist von keiner andern Art, als in jeder andern vernünftigen |
||||||
22 | Erkenntniß außer der Mathematik. |
||||||
23 | In unsern Tagen hat die Philosophie des Herrn Crusius*) vermeint, | ||||||
24 | der metaphysischen Erkenntniß eine ganz andre Gestalt zu geben, dadurch, | ||||||
25 | daß er dem Satze des Widerspruchs nicht das Vorrecht einräumte, | ||||||
26 | der allgemeine und oberste Grundsatz aller Erkenntniß zu sein, daß er | ||||||
27 | viel andre unmittelbar gewisse und unerweisliche Grundsätze einführte und | ||||||
28 | behauptete, es würde ihre Richtigkeit aus der Natur unseres Verstandes | ||||||
*) Ich habe nöthig gefunden, der Methode dieser neuen Weltweisheit hier Erwähnung zu thun. Sie ist in kurzem so berühmt geworden, sie hat auch in Ansehung der besseren Aufklärung mancher Einsichten ein so zugestandenes Verdienst, daß es ein wesentlicher Mangel sein würde, wo von der Metaphysik überhaupt die Rede ist, sie mit Stillschweigen übergangen zu haben. Was ich hier berühre, ist lediglich die ihr eigene Methode, denn der Unterschied in einzelnen Sätzen ist noch nicht genug, einen wesentlichen Unterschied einer Philosophie von der andern zu bezeichnen. | |||||||
[ Seite 292 ] [ Seite 294 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |