Kant: AA II, Untersuchung über die ... , Seite 292 |
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01 | Augen haben. Der reine Verstand muß in der Anstrengung erhalten werden, | ||||||
02 | und wie unmerklich entwischt nicht ein Merkmal eines abgesonderten | ||||||
03 | Begriffs, da nichts Sinnliches uns dessen Verabsäumung offenbaren | ||||||
04 | kann; alsdann aber werden verschiedene Dinge für einerlei gehalten, und | ||||||
05 | man gebiert irrige Erkenntnisse. | ||||||
06 | Hier ist nun dargethan worden: daß die Gründe, daraus man abnehmen | ||||||
07 | kann, daß es unmöglich sei, in einem gewissen philosophischen Erkenntnisse | ||||||
08 | geirrt zu haben, an sich selber niemals denen gleich kommen, die | ||||||
09 | man im mathematischen vor sich hat. Allein außer diesem ist auch die | ||||||
10 | Anschauung dieser Erkenntniß, soviel die Richtigkeit anlangt, größer in | ||||||
11 | der Mathematik als in der Weltweisheit: da in der erstern das Object in | ||||||
12 | sinnlichen Zeichen in concreto , in der letztern aber immer nur in allgemeinen | ||||||
13 | abgezogenen Begriffen betrachtet wird, deren klarer Eindruck bei | ||||||
14 | weitem nicht so groß sein kann als der ersteren. In der Geometrie, wo | ||||||
15 | die Zeichen mit den bezeichneten Sachen überdem eine Ähnlichkeit haben, | ||||||
16 | ist daher diese Evidenz noch größer, obgleich in der Buchstabenrechnung | ||||||
17 | die Gewißheit eben so zuverlässig ist. | ||||||
18 | § 2. |
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19 | Die Metaphysik ist einer Gewißheit, die zur Überzeugung |
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20 | hinreicht, fähig. |
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21 | Die Gewißheit in der Metaphysik ist von eben derselben Art, wie in | ||||||
22 | jeder andern philosophischen Erkenntniß, wie diese denn auch nur gewiß | ||||||
23 | sein kann, in so fern sie den allgemeinen Gründen, die die erstere liefert, | ||||||
24 | gemäß ist. Es ist aus Erfahrung bekannt: daß wir durch Vernunftgründe | ||||||
25 | auch außer der Mathematik in vielen Fällen bis zur Überzeugung völlig | ||||||
26 | gewiß werden können. Die Metaphysik ist nur eine auf allgemeinere | ||||||
27 | Vernunfteinsichten angewandte Philosophie, und es kann mit ihr unmöglich | ||||||
28 | anders bewandt sein. | ||||||
29 | Irrthümer entspringen nicht allein daher, weil man gewisse Dinge | ||||||
30 | nicht weiß, sondern weil man sich zu urtheilen unternimmt, ob man gleich | ||||||
31 | noch nicht alles weiß, was dazu erfordert wird. Eine große Menge Falschheiten, | ||||||
32 | ja fast alle insgesammt haben diesem letztern Vorwitz ihren Ursprung | ||||||
33 | zu danken. Ihr wißt einige Prädicate von einem Dinge gewiß. | ||||||
34 | Wohlan, legt diese zum Grunde eurer Schlüsse, und ihr werdet nicht irren. | ||||||
35 | Allein ihr wollt durchaus eine Definition haben; gleichwohl seid ihr nicht | ||||||
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