Kant: AA II, Untersuchung über die ... , Seite 285 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | großer Behutsamkeit Acht haben, ob es auch wirklich einerlei Begriff sei, | ||||||
02 | der hier mit eben demselben Zeichen verbunden worden. Wir sagen: ein | ||||||
03 | Mensch unterscheidet das Gold vom Messing, wenn er erkennt, daß in | ||||||
04 | einem Metalle z. E. nicht diejenige Dichtigkeit sei, die in dem andern ist. | ||||||
05 | Man sagt außerdem: das Vieh unterscheidet ein Futter vom andern, | ||||||
06 | wenn es das eine verzehrt und das andre liegen läßt. Hier wird in beiden | ||||||
07 | Fällen das Wort: unterscheiden, gebraucht, ob es gleich im erstern Falle | ||||||
08 | so viel heißt, als: den Unterschied erkennen, welches niemals geschehen | ||||||
09 | kann, ohne zu urtheilen; im zweiten aber nur anzeigt, daß bei unterschiedlichen | ||||||
10 | Vorstellungen unterschiedlich gehandelt wird, wo eben | ||||||
11 | nicht nöthig ist, daß ein Urtheil vorgehe. Wie wir denn am Viehe nur gewahr | ||||||
12 | werden, daß es durch verschiedene Empfindungen zu verschiedenen | ||||||
13 | Handlungen getrieben werde, welches ganz wohl möglich ist, ohne daß es im | ||||||
14 | mindesten über die Übereinstimmung oder Verschiedenheit urtheilen darf. | ||||||
15 | Aus allem diesem fließen die Regeln derjenigen Methode, nach welcher | ||||||
16 | die höchstmögliche metaphysische Gewißheit einzig und allein kann erlangt | ||||||
17 | werden, ganz natürlich. Sie sind von denen sehr verschieden, die | ||||||
18 | man bis daher befolgt hat, und verheißen einen dermaßen glücklichen | ||||||
19 | Ausgang, wenn man sie zur Anwendung bringen wird, dergleichen man | ||||||
20 | auf einem andern Wege niemals hat erwarten können. Die erste und | ||||||
21 | vornehmste Regel ist diese: daß man ja nicht von Erklärungen anfange, | ||||||
22 | es müßte denn etwa blos die Worterklärung gesucht werden, z. E.: nothwendig | ||||||
23 | ist, dessen Gegentheil unmöglich ist. Aber auch da sind nur wenig | ||||||
24 | Fälle, wo man so zuversichtlich den deutlich bestimmten Begriff gleich | ||||||
25 | zu Anfange festsetzen kann. Vielmehr suche man in seinem Gegenstande zuerst | ||||||
26 | dasjenige mit Sorgfalt auf, dessen man von ihm unmittelbar gewiß | ||||||
27 | ist, auch ehe man die Definition davon hat. Man ziehe daraus Folgerungen | ||||||
28 | und suche hauptsächlich nur wahre und ganz gewisse Urtheile von | ||||||
29 | dem Objecte zu erwerben, auch ohne sich noch auf eine verhoffte Erklärung | ||||||
30 | Staat zu machen, welche man niemals wagen, sondern dann, wenn sie sich | ||||||
31 | aus den augenscheinlichsten Urtheilen deutlich darbietet, allererst einräumen | ||||||
32 | muß. Die zweite Regel ist: daß man die unmittelbare Urtheile | ||||||
33 | von dem Gegenstande in Ansehung desjenigen, was man zuerst in ihm | ||||||
34 | mit Gewißheit antrifft, besonders auszeichnet und, nachdem man gewiß | ||||||
35 | ist, daß das eine in dem andern nicht enthalten sei, sie so wie die Axiomen | ||||||
36 | der Geometrie als die Grundlage zu allen Folgerungen voranschickt. | ||||||
37 | Hieraus folgt, daß man in den Betrachtungen der Metaphysik jederzeit | ||||||
[ Seite 284 ] [ Seite 286 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |