Kant: AA II, Untersuchung über die ... , Seite 282

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 wahrgenommen wird, zu einem unerweislichen Grundurtheile dienen.      
  02 Denn da ich den ganzen deutlichen Begriff der Sache noch nicht habe,      
  03 sondern allererst suche, so kann er aus diesem Begriffe so gar nicht bewiesen      
  04 werden, daß er vielmehr dazu dient, daß deutliche Erkenntniß und      
  05 Definition dadurch zu erzeugen. Also werde ich erste Grundurtheile vor      
  06 aller philosophischen Erklärung der Sachen haben müssen, und es kann      
  07 hiebei nur der Fehler vorgehen, daß ich dasjenige für ein uranfängliches      
  08 Merkmal ansehe, was noch ein abgeleitetes ist. In der folgenden Betrachtung      
  09 werden Dinge vorkommen, die dieses außer Zweifel setzen werden.      
           
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§ 4.
     
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Das Object der Mathematik ist leicht und einfältig, der
     
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Philosophie aber schwer und verwickelt.
     
           
  13 Da die Größe den Gegenstand der Mathematik ausmacht, und in      
  14 Betrachtung derselben nur darauf gesehen wird, wie vielmal etwas gesetzt      
  15 sei, so leuchtet deutlich in die Augen, daß diese Erkenntniß auf wenigen      
  16 und sehr klaren Grundlehren der allgemeinen Größenlehre (welches eigentlich      
  17 die allgemeine Arithmetik ist) beruhen müssen. Man sieht auch daselbst      
  18 die Vermehrung und Verminderung der Größen, ihre Zerfällung in gleiche      
  19 Factoren bei der Lehre von den Wurzeln aus einfältigen und wenig Grundbegriffen      
  20 entspringen. Einige wenige Fundamentalbegriffe vom Raume      
  21 vermitteln die Anwendung dieser allgemeinen Größenkenntniß auf die      
  22 Geometrie. Man darf zum Beispiel nur die leichte Faßlichkeit eines arithmetischen      
  23 Gegenstandes, der eine ungeheure Vielheit in sich begreift, mit      
  24 der viel schwereren Begreiflichkeit einer philosophischen Idee, darin man      
  25 nur wenig zu erkennen sucht, zusammenhalten, um sich davon zu überzeugen.      
  26 Das Verhältniß einer Trillion zur Einheit wird ganz deutlich      
  27 verstanden, indessen daß die Weltweisen den Begriff der Freiheit aus      
  28 ihren Einheiten, d. i. ihren einfachen und bekannten Begriffen, noch bis      
  29 jetzt nicht haben verständlich machen können. Das ist: der Qualitäten, die      
  30 das eigentliche Objekt der Philosophie ausmachen, sind unendlich vielerlei,      
  31 deren Unterscheidung überaus viel erfordert; imgleichen ist es weit schwerer,      
  32 durch Zergliederung verwickelte Erkenntnisse aufzulösen, als durch die      
  33 Synthesin gegebene einfache Erkenntnisse zu verknüpfen und so auf Folgerungen      
  34 zu kommen. Ich weiß, daß es viele giebt, welche die Weltweisheit      
  35 in Vergleichung mit der höhern Mathesis sehr leicht finden. Allein diese      
           
     

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