Kant: AA II, Beobachtungen über das ... , Seite 249

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 gegen den Franzosen als den Engländer und ist gewissermaßen ein sehr      
  02 phlegmatisirter Deutsche.      
           
  03 Wenn wir den Versuch dieser Gedanken in irgend einem Falle anwenden,      
  04 um z. E. das Gefühl der Ehre zu erwägen, so zeigen sich folgende      
  05 Nationalunterschiede.die Empfindung für die Ehre ist am Franzosen      
  06 Eitelkeit, an dem Spanier Hochmuth, an dem Engländer Stolz, an      
  07 dem Deutschen Hoffart und an dem Holländer Aufgeblasenheit.      
  08 Diese Ausdrücke scheinen beim ersten Anblicke einerlei zu bedeuten, allein      
  09 sie bemerken nach dem Reichthum unserer deutschen Sprache sehr kenntliche      
  10 Unterschiede. Die Eitelkeit buhlt um Beifall, ist flatterhaft und      
  11 veränderlich, ihr äußeres Betragen aber ist höflich. Der Hochmüthige      
  12 ist voll von fälschlich eingebildeten großen Vorzügen und bewirbt sich nicht      
  13 viel um den Beifall anderer, seine Aufführung ist steif und hochtrabend.      
  14 Der Stolz ist eigentlich nur ein größeres Bewußtsein seines eigenen      
  15 Werthes, der öfters sehr richtig sein kann (um deswillen er auch bisweilen      
  16 ein edler Stolz heißt; niemals aber kann ich jemanden einen edlen Hochmuth      
  17 beilegen, weil dieser jederzeit eine unrichtige und übertriebene Selbstschätzung      
  18 anzeigt), das Betragen des Stolzes gegen andere ist gleichgültig      
  19 und kaltsinnig. Der Hoffärtige ist ein Stolzer, der zugleich      
  20 eitel ist.*) Der Beifall aber, den er bei andern sucht, besteht in Ehrenbezeugungen.      
  21 Daher schimmert er gerne durch Titel, Ahnenregister und      
  22 Gepränge. Der Deutsche ist vornehmlich von dieser Schwachheit angesteckt.      
  23 Die Wörter: Gnädig, Hochgeneigt, Hoch= und Wohlgeb. und dergleichen      
  24 Bombast mehr, machen seine Sprache steif und ungewandt und verhindern      
  25 gar sehr die schöne Einfalt, welche andere Völker ihrer Schreibart geben      
  26 können. Das Betragen eines Hoffärtigen in dem Umgange ist Ceremonie.      
  27 Der Aufgeblasene ist ein Hochmüthiger, welcher deutliche      
  28 Merkmale der Verachtung anderer in seinem Betragen äußert. In der      
  29 Aufführung ist er grob. Diese elende Eigenschaft entfernt sich am weitesten      
  30 vom feineren Geschmacke, weil sie offenbar dumm ist; denn das ist      
  31 gewiß nicht das Mittel, dem Gefühl für Ehre ein Gnüge zu leisten, daß      
  32 man durch offenbare Verachtung alles um sich zum Hasse und zur beißenden      
  33 Spötterei auffordert.      
           
    *) Es ist nicht nöthig, daß ein Hoffärtiger zugleich hochmüthig sei, d. i. sich eine übertriebene, falsche Einbildung von seinen Vorzügen mache, sondern er kann vielleicht sich nicht höher schätzen, als er werth ist, er hat aber nur einen falschen Geschmack, diesen seinen Werth äußerlich geltend zu machen.      
           
     

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