Kant: AA II, Beobachtungen über das ... , Seite 229 |
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01 | Das Frauenzimmer hat ein angebornes stärkeres Gefühl für alles, | ||||||
02 | was schön, zierlich und geschmückt ist. Schon in der Kindheit sind sie gerne | ||||||
03 | geputzt und gefallen sich, wenn sie geziert sind. Sie sind reinlich und sehr | ||||||
04 | zärtlich in Ansehung alles dessen, was Ekel verursacht. Sie lieben den | ||||||
05 | Scherz und können durch Kleinigkeiten, wenn sie nur munter und lachend | ||||||
06 | sind, unterhalten werden. Sie haben sehr früh ein sittsames Wesen an | ||||||
07 | sich, wissen sich einen feinen Anstand zu geben und besitzen sich selbst; und | ||||||
08 | dieses in einem Alter, wenn unsere wohlerzogene männliche Jugend noch | ||||||
09 | unbändig, tölpisch und verlegen ist. Sie haben viel theilnehmende Empfindungen, | ||||||
10 | Gutherzigkeit und Mitleiden, ziehen das Schöne dem Nützlichen | ||||||
11 | vor und werden den Überfluß des Unterhalts gerne in Sparsamkeit | ||||||
12 | verwandeln, um den Aufwand auf das Schimmernde und den Putz zu | ||||||
13 | unterstützen. Sie sind von sehr zärtlicher Empfindung in Ansehung der | ||||||
14 | mindesten Beleidigung und überaus fein, den geringsten Mangel der Aufmerksamkeit | ||||||
15 | und Achtung gegen sie zu bemerken. Kurz, sie enthalten in | ||||||
16 | der menschlichen Natur den Hauptgrund der Abstechung der schönen Eigenschaften | ||||||
17 | mit den edelen und verfeinern selbst das männliche Geschlecht. | ||||||
18 | Man wird mir hoffentlich die Herzählung der männlichen Eigenschaften, | ||||||
19 | in so fern sie jenen parallel sind, schenken und sich befriedigen | ||||||
20 | beide nur in der Gegeneinanderhaltung zu betrachten. Das schöne Geschlecht | ||||||
21 | hat eben so wohl Verstand als das männliche, nur es ist ein | ||||||
22 | schöner Verstand, der unsrige soll ein tiefer Verstand sein, welches | ||||||
23 | ein Ausdruck ist, der einerlei mit dem Erhabenen bedeutet. | ||||||
24 | Zur Schönheit aller Handlungen gehört vornehmlich, daß sie Leichtigkeit | ||||||
25 | an sich zeigen und ohne peinliche Bemühung scheinen vollzogen zu | ||||||
26 | werden; dagegen Bestrebungen und überwundene Schwierigkeiten Bewunderung | ||||||
27 | erregen und zum Erhabenen gehören. Tiefes Nachsinnen und | ||||||
28 | eine lange fortgesetzte Betrachtung sind edel, aber schwer und schicken sich | ||||||
29 | nicht wohl für eine Person, bei der die ungezwungene Reize nichts anders | ||||||
30 | als eine schöne Natur zeigen sollen. Mühsames Lernen oder peinliches | ||||||
31 | Grübeln, wenn es gleich ein Frauenzimmer darin hoch bringen sollte, vertilgen | ||||||
32 | die Vorzüge, die ihrem Geschlechte eigenthümlich sind, und können | ||||||
33 | dieselbe wohl um der Seltenheit willen zum Gegenstande einer kalten Bewunderung | ||||||
34 | machen, aber sie werden zugleich die Reize schwächen, wodurch | ||||||
35 | sie ihre große Gewalt über das andere Geschlecht ausüben. Ein Frauenzimmer, | ||||||
36 | das den Kopf voll Griechisch hat, wie die Frau Dacier, oder | ||||||
37 | über die Mechanik gründliche Streitigkeiten führt, wie die Marquisin von | ||||||
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