Kant: AA II, Versuch den Begriff der ... , Seite 199 |
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| 01 | Folge dieser Bestrebungen würde die Verringerung des Raumesinhalts | ||||||
| 02 | sein, wenn nicht eben so wahrhafte Thätigkeiten ihnen im gleichen Grade | ||||||
| 03 | entgegenwirkten durch die Zurückstoßung der Elemente, deren Wirkung | ||||||
| 04 | der Grund der Undurchdringlichkeit ist. Hier ist Ruhe, nicht weil Bewegkräfte | ||||||
| 05 | fehlen, sondern weil sie einander entgegen wirken. Eben so ruhen | ||||||
| 06 | die Gewichte an beiden Wagearmen, wenn sie nach den Gesetzen des Gleichgewichts | ||||||
| 07 | am Hebel angebracht sind. Man kann diesen Begriff weit über | ||||||
| 08 | die Grenzen der materialen Welt ausdehnen. Es ist eben nicht nöthig, | ||||||
| 09 | daß, wenn wir glauben in einer gänzlichen Unthätigkeit des Geistes zu | ||||||
| 10 | sein, die Summe der Realgründe des Denkens und Begehrens kleiner sei | ||||||
| 11 | als in dem Zustande, da sich einige Grade dieser Wirksamkeit dem Bewußtsein | ||||||
| 12 | offenbaren. Saget dem gelehrtesten Manne in den Augenblicken, | ||||||
| 13 | da er müßig und ruhig ist, daß er etwas erzählen und von seiner Einsicht | ||||||
| 14 | soll hören lassen! Er weiß nichts, und ihr findet ihn in diesem Zustande | ||||||
| 15 | leer, ohne bestimmte Erwägungen und Beurtheilungen. Gebt ihm nur | ||||||
| 16 | Anlaß durch eine Frage, oder durch eure eigene Urtheile! Seine Wissenschaft | ||||||
| 17 | offenbart sich in einer Reihe von Thätigkeiten, die eine solche Richtung | ||||||
| 18 | haben, daß sie ihm und euch das Bewußtsein dieser seiner Einsicht | ||||||
| 19 | möglich machen. Ohne Zweifel waren die Realgründe dazu lange in ihm | ||||||
| 20 | anzutreffen, aber da die Folge in Ansehung des Bewußtseins Zero war, | ||||||
| 21 | so mußten sie einander in so fern entgegen gesetzt gewesen sein. So liegt | ||||||
| 22 | derjenige Donner, den die Kunst zum Verderben erfand, in dem Zeughause | ||||||
| 23 | eines Fürsten aufbehalten zu einem künftigen Kriege, in drohender | ||||||
| 24 | Stille, bis, wenn ein verrätherischer Zunder ihn berührt, er im Blitze auffährt | ||||||
| 25 | und um sich her alles verwüstet. Die Spannfedern, die unaufhörlich | ||||||
| 26 | bereit waren aufzuspringen, lagen in ihm durch mächtige Anziehung | ||||||
| 27 | gebunden und erwarteten den Reiz eines Feuerfunkens, um sich zu befreien. | ||||||
| 28 | Es steckt etwas Großes und, wie mich dünkt, sehr Richtiges in dem | ||||||
| 29 | Gedanken des Herrn von Leibniz: Die Seele befaßt das ganze Universum | ||||||
| 30 | mit ihrer Vorstellungskraft, obgleich nur ein unendlich kleiner Theil | ||||||
| 31 | dieser Vorstellungen klar ist. In der That müssen alle Arten von Begriffen | ||||||
| 32 | nur auf der innern Thätigkeit unsers Geistes, als auf ihrem Grunde, beruhen. | ||||||
| 33 | Äußere Dinge können wohl die Bedingung enthalten, unter welcher | ||||||
| 34 | sie sich auf eine oder andere Art hervorthun, aber nicht die Kraft sie | ||||||
| 35 | wirklich hervorzubringen. Die Denkungskraft der Seele muß Realgründe | ||||||
| 36 | zu ihnen allen enthalten, so viel ihrer natürlicher Weise in ihr entspringen | ||||||
| 37 | sollen, und die Erscheinungen der entstehenden und vergehenden Kenntnisse | ||||||
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