Kant: AA II, Versuch den Begriff der ... , Seite 181 |
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01 | Todes nicht vermindert worden, welches falsch ist. Es sei demnach die Lust | ||||||
02 | aus seiner bewiesenen Tapferkeit = 4a und, was da übrig bleibt, nachdem | ||||||
03 | aus der andern Ursache die Unlust mitgewirkt hat, = 3a, so ist die | ||||||
04 | Unlust = a, und sie ist die Negative der Lust, nämlich -a und daher | ||||||
05 | 4a-a=3a . | ||||||
06 | Die Schätzung des ganzen Werths der gesammten Lust in einem vermischten | ||||||
07 | Zustande würde auch sehr ungereimt sein, wenn Unlust eine | ||||||
08 | bloße Verneinung und dem Zero gleich wäre. Jemand hat ein Landgut | ||||||
09 | gekauft, dessen Ertrag jährlich 2000 Rthlr. ist. Man drücke den Grad der | ||||||
10 | Lust über diese Einnahme, in so fern sie rein ist, mit 2000 aus. Alles, was | ||||||
11 | er aber von dieser Einnahme abgeben muß, ohne es zu genießen, ist ein | ||||||
12 | Grund der Unlust: Grundzins 200 Rthlr., Gesindelohn 100 Rthlr., Reparatur | ||||||
13 | 150 Rthlr. jährlich. Ist die Unlust eine bloße Verneinung = 0, | ||||||
14 | so ist, alles in einander gerechnet, die Lust, die er an seinem Kauf hat, | ||||||
15 | 2000+0+0+0=2000 , d. i. eben so groß, als wenn er den Ertrag | ||||||
16 | ohne Abgaben genießen könnte. Nun ist aber offenbar, daß er sich nicht | ||||||
17 | mehr über diese Einkünfte zu erfreuen hat, als in so fern ihm nach Abzug | ||||||
18 | der Abgaben was übrig bleibt, und es ist der Grad des Wohlgefallens | ||||||
19 | 2000-200-100-150=1550 . Es ist demnach die Unlust nicht bloß | ||||||
20 | ein Mangel der Lust, sondern ein positiver Grund, diejenige Lust, die aus | ||||||
21 | einem andern Grunde statt findet, ganz oder zum Theil aufzuheben, und | ||||||
22 | ich nenne sie daher eine negative Lust. Der Mangel der Lust sowohl | ||||||
23 | als der Unlust, in so fern er aus dem Mangel der Gründe hiezu herzuleiten | ||||||
24 | ist, heißt Gleichgültigkeit ( indifferentia ). Der Mangel der Lust | ||||||
25 | sowohl als Unlust, in so fern er eine Folge aus der Realopposition gleicher | ||||||
26 | Gründe ist, heißt das Gleichgewicht ( aequilibrium ): beides ist | ||||||
27 | Zero, das erstere aber eine Verneinung schlechthin, das zweite eine Beraubung. | ||||||
28 | Der Zustand des Gemüths, in welchem bei ungleicher entgegengesetzter | ||||||
29 | Lust und Unlust von einer dieser beiden Empfindungen etwas | ||||||
30 | übrig bleibt, ist das Übergewicht der Lust oder Unlust ( suprapondium | ||||||
31 | voluptatis vel taedii ). Nach dergleichen Begriffen suchte der Herr v. | ||||||
32 | Maupertuis in seinem Versuche der moralischen Weltweisheit die | ||||||
33 | Summe der Glückseligkeit des menschlichen Lebens zu schätzen, und sie | ||||||
34 | kann auch nicht anders geschätzt werden, nur daß diese Aufgabe für | ||||||
35 | Menschen unauflöslich ist, weil nur gleichartige Empfindungen können in | ||||||
36 | Summen gezogen werden, das Gefühl aber in dem sehr verwickelten Zustande | ||||||
37 | des Lebens nach der Mannigfaltigkeit der Rührungen sehr verschieden | ||||||
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