Kant: AA II, Der einzig mögliche ... , Seite 133 |
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01 | Philosophen ein, wie mir dünkt, wichtiger Gegenstand des Nachdenkens | ||||||
02 | verborgen, wie solche Übereinkunft sehr verschiedener Dinge in einem gewissen | ||||||
03 | gemeinschaftlichen grunde der Gleichförmigkeit so groß und weitläuftig | ||||||
04 | und doch zugleich so genau sein könne. Diese Analogien sind auch | ||||||
05 | sehr nöthige Hülfsmittel unserer Erkenntniß, die Mathematik selber liefert | ||||||
06 | deren einige. Ich enthalte mich Beispiele anzuführen, denn es ist zu besorgen, | ||||||
07 | daß nach der verschiedenen Art, wie dergleichen Ähnlichkeiten | ||||||
08 | empfunden werden, sie nicht dieselbe Wirkung über jeden andern Verstand | ||||||
09 | haben möchten, und der Gedanke, den ich hier einstreue, ist ohnedem unvollendet | ||||||
10 | und noch nicht genugsam verständlich. | ||||||
11 | Wenn man fragen sollte, welches denn der Gebrauch sei, den man | ||||||
12 | von der großen Einheit in den mancherlei Verhältnissen des Raumes, | ||||||
13 | welche der Meßkünstler erforscht, machen könnte, so vermuthe ich, daß allgemeine | ||||||
14 | Begriffe von der Einheit der mathematischen Objecte auch die | ||||||
15 | Gründe der Einheit und Vollkommenheit in der Natur könnten zu erkennen | ||||||
16 | geben. Z. E. Es ist unter allen Figuren die Cirkelfigur diejenige, | ||||||
17 | darin eben der Umkreis den größt möglichen Raum beschließt, den ein | ||||||
18 | solcher Umfang nur befassen kann, darum nämlich, weil eine genaue | ||||||
19 | Gleichheit in dem Abstande dieser Umgränzung von einem Mittelpunkte | ||||||
20 | darin durchgängig herrscht. Wenn eine Figur durch gerade Linien soll | ||||||
21 | eingeschlossen werden, so kann die größt mögliche Gleichheit in Ansehung | ||||||
22 | des Abstandes derselben vom Mittelpunkte nur statt finden, wenn nicht | ||||||
23 | allein die Entfernungen der Winkelpunkte von diesem Mittelpunkte untereinander, | ||||||
24 | sondern auch die Perpendikel aus diesem auf die Seiten einander | ||||||
25 | völlig gleich sind. Daraus wird nun ein regelmäßiges Polygon, | ||||||
26 | und es zeigt sich durch die Geometrie, daß mit eben demselben Umkreise | ||||||
27 | ein anderes Polygon von eben der Zahl Seiten jederzeit einen kleinern | ||||||
28 | Raum einschließen würde als das reguläre. Noch ist eine und zwar die | ||||||
29 | einfachste Art der Gleichheit in dem Abstande von einem Mittelpunkte | ||||||
30 | möglich, nämlich wenn blos die Entfernung der Winkelpunkte des Vielecks | ||||||
31 | von demselben Mittelpunkte durchgängig gleich ist, und daßzeigt sich, da | ||||||
32 | ein jedes irreguläre Polygon, welches im Cirkel stehen kann, den größten | ||||||
33 | Raum einschließt unter allen, der von eben denselben Seiten nur immer | ||||||
34 | kann beschlossen werden. Außer diesem ist zuletzt dasjenige Polygon, in | ||||||
35 | welchem noch überdem die Größe der Seite dem Abstande des Winkelpunkts | ||||||
36 | vom Mittelpunkte gleich ist, das ist, das regelmäßige Sechseck, | ||||||
37 | unter allen Figuren überhaupt diejenige, die mit dem kleinsten Umfange | ||||||
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