Kant: AA II, Der einzig mögliche ... , Seite 106 |
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02 | Eintheilung der natürlichen Begebenheiten, in so fern |
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03 | sie unter der nothwendigen oder zufälligen Ordnung |
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04 | der Natur stehen. |
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05 | Alle Dinge der Natur sind zufällig in ihrem Dasein. Die Verknüpfung | ||||||
06 | verschiedener Arten von Dingen, z. E. der Luft, der Erde, des | ||||||
07 | Wassers, ist gleichfalls ohne Zweifel zufällig und in so fern blos der Willkür | ||||||
08 | des obersten Urhebers beizumessen. Allein obgleich die Naturgesetze | ||||||
09 | in so fern keine Nothwendigkeit zu haben scheinen, als die Dinge selbst, | ||||||
10 | davon sie es sind, imgleichen die Verknüpfungen, darin sie ausgeübt werden | ||||||
11 | können, zufällig sind, so bleibt gleichwohl eine Art der Nothwendigkeit | ||||||
12 | übrig, die sehr merkwürdig ist. Es giebt nämlich viele Naturgesetze, deren | ||||||
13 | Einheit nothwendig ist, das ist, wo eben derselbe Grund der Übereinstimmung | ||||||
14 | zu einem Gesetze auch andere Gesetze nothwendig macht. | ||||||
15 | Z. E. eben dieselbe elastische Kraft und Schwere der Luft, die ein Grund | ||||||
16 | ist der Gesetze des Athemholens, ist nothwendiger Weise zugleich ein Grund | ||||||
17 | von der Möglichkeit der Pumpwerke, von der Möglichkeit der zu erzeugenden | ||||||
18 | Wolken, der Unterhaltung des Feuers, der Winde etc. Es ist nothwendig, | ||||||
19 | daß zu den übrigen der Grund anzutreffen sei, so bald auch nur | ||||||
20 | zu einem einzigen derselben Grund da ist. Dagegen wenn der Grund | ||||||
21 | einer gewissen Art ähnlicher Wirkungen nach einem Gesetze nicht zugleich | ||||||
22 | der Grund einer andern Art Wirkungen nach einem andern Gesetze in | ||||||
23 | demselben Wesen ist, so ist die Vereinbarung dieser Gesetze zufällig, oder | ||||||
24 | es herrscht in diesen Gesetzen zufällige Einheit, und was sich darnach in | ||||||
25 | dem Dinge zuträgt, geschieht nach einer zufälligen Naturordnung. Der | ||||||
26 | Mensch sieht, hört, riecht, schmeckt u. s. w., aber nicht eben dieselbe Eigenschaften, | ||||||
27 | die die Gründe des Sehens sind, sind auch die des Schmeckens. | ||||||
28 | Er muß andere Organen zum Hören wie zum Schmecken haben. Die | ||||||
29 | Vereinbarung so verschiedener Vermögen ist zufällig und, da sie zur Vollkommenheit | ||||||
30 | abzielt, künstlich. Bei jedem Organe ist wiederum künstliche | ||||||
31 | Einheit. In dem Auge ist der Theil, der Licht einfallen läßt, ein anderer | ||||||
32 | als der, so es bricht, noch ein anderer, so das Bild auffängt. Dagegen | ||||||
33 | sind es nicht andere Ursachen, die der Erde die Kugelrundung verschaffen, | ||||||
34 | noch andere, die wider den Drehungsschwung die Körper der Erde zurück | ||||||
35 | halten, noch eine andere, die den Mond im Kreise erhält, sondern die einzige | ||||||
36 | Schwere ist eine Ursache, die nothwendiger Weise zu allem diesem | ||||||
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