Kant: AA II, Der einzig mögliche ... , Seite 067

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Stücken alle Züge genau auszumalen, da der Entwurf im Ganzen      
  02 allererst das strenge Urtheil der Meister in der Kunst abzuwarten hat.      
  03 Ich habe daher öfters nur Beweisthümer angeführt, ohne mich anzumaßen,      
  04 daß ich ihre Verknüpfung mit der Folgerung für jetzt deutlich zeigen könnte.      
  05 Ich habe bisweilen gemeine Verstandesurtheile angeführt, ohne ihnen durch      
  06 logische Kunst die Gestalt der Festigkeit zu geben, die ein Baustück in einem      
  07 System haben muß, entweder weil ich es schwer fand, oder weil die Weitläuftigkeit      
  08 der nöthigen Vorbereitung der Größe, die das Werk haben sollte,      
  09 nicht gemäß war, oder auch weil ich mich berechtigt zu sein glaubte, da ich      
  10 keine Demonstration ankündige, der Forderung, die man mit Recht an      
  11 systematische Verfasser thut, entschlagen zu sein. Ein kleiner Theil derer,      
  12 die sich das Urtheil über Werke des Geistes anmaßen, wirft kühne Blicke      
  13 auf das Ganze eines Versuchs und betrachtet vornehmlich die Beziehung,      
  14 die die Hauptstücke desselben zu einem tüchtigen Bau haben könnten, wenn      
  15 man gewisse Mängel ergänzte oder Fehler verbesserte. Diese Art Leser ist      
  16 es, deren Urtheil dem menschlichen Erkenntniß vornehmlich nutzbar ist.      
  17 Was die übrige anlangt, welche, unvermögend eine Verknüpfung im      
  18 Großen zu übersehen, an einem oder andern kleinen Theile grüblerisch geheftet      
  19 sind, unbekümmert ob der Tadel, den er etwa verdiente, auch den      
  20 Werth des Ganzen anfechte, und ob nicht Verbesserungen in einzelnen      
  21 Stücken den Hauptplan, der nur in Theilen fehlerhaft ist, erhalten können,      
  22 diese, die nur immer bestrebt sind, einen jeden angefangenen Bau in      
  23 Trümmer zu verwandeln, können zwar um ihrer Menge willen zu fürchten      
  24 sein, allein ihr Urtheil ist, was die Entscheidung des wahren Werthes anlangt,      
  25 bei Vernünftigen von wenig Bedeutung.      
           
  26 Ich habe mich an einigen Orten vielleicht nicht umständlich genug      
  27 erklärt, um denen, die nur eine scheinbare Veranlassung wünschen, auf      
  28 eine Schrift den bitteren Vorwurf des Irrglaubens zu werfen, alle Gelegenheit      
  29 dazu zu benehmen, allein welche Behutsamkeit hätte dieses auch      
  30 wohl verhindern können; ich glaube indessen für diejenige deutlich genug      
  31 geredet zu haben, die nichts anders in einer Schrift finden wollen, als was      
  32 des Verfassers Absicht gewesen ist hinein zu legen. Ich habe mich so wenig      
  33 wie möglich mit Widerlegungen eingelassen, so sehr auch meine Sätze von      
  34 anderer ihren abweichen. Diese Entgegenstellung ist etwas, das ich dem      
  35 Nachdenken des Lesers, der beide eingesehen hat, überlasse. Wenn man      
  36 die Urtheile der unverstellten Vernunft in verschiedenen denkenden Personen      
  37 mit der Aufrichtigkeit eines unbestochenen Sachwalters prüfte, der von      
           
     

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