Kant: AA II, Die falsche Spitzfindigkeit der ... , Seite 050 |
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Text (Kant):
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| 01 | § 3. |
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| 02 | Von reinen und vermischten Vernunftschlüssen. |
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| 03 | Es ist jedermann bekannt, daß es unmittelbare Schlüsse gebe, da aus | ||||||
| 04 | einem Urtheil die Wahrheit eines andern ohne einen Mittelbegriff unmittelbar | ||||||
| 05 | erkannt wird. Um deswillen sind dergleichen Schlüsse auch keine | ||||||
| 06 | Vernunftschlüsse; z. E. aus dem Satze: Eine jede Materie ist veränderlich, | ||||||
| 07 | folgt gerade zu: was nicht veränderlich ist, ist nicht Materie. Die Logiker | ||||||
| 08 | zählen verschiedene Arten solcher unmittelbaren Schlußfolgen, worunter | ||||||
| 09 | ohne Zweifel die durch die logische Umkehrung, imgleichen durch die | ||||||
| 10 | Contraposition die vornehmsten sind. | ||||||
| 11 | Wenn nun ein Vernunftschluß nur durch drei Sätze geschieht, nach | ||||||
| 12 | den Regeln, die von jedem Vernunftschlusse nur eben vorgetragen worden, | ||||||
| 13 | so nenne ich ihn einen reinen Vernunftschluß ( ratiocinium purum ), ist er | ||||||
| 14 | aber nur möglich, indem mehr wie drei Urtheile mit einander verbunden | ||||||
| 15 | sind, so ist er ein vermengter Vernunftschluß ( ratiocinium hybridum ). | ||||||
| 16 | Setzet nämlich, daß zwischen die drei Hauptsätze noch ein aus ihnen gefolgerter | ||||||
| 17 | unmittelbarer Schluß müsse geschoben werden und also ein Satz | ||||||
| 18 | mehr dazu komme, als ein reiner Vernunftschluß erlaubt, so ist es ratiocinium | ||||||
| 19 | hybridum . Z. E. gedenket euch, es schlösse jemand also: | ||||||
| 20 | Nichts, was verweslich ist, ist einfach; | ||||||
| 21 | Mithin kein Einfaches ist verweslich; | ||||||
| 22 | Die Seele des Menschen ist einfach; | ||||||
| 23 | Also die Seele des Menschen ist nicht verweslich; | ||||||
| 24 | so würde er zwar keinen eigentlich zusammengesetzten Vernunftschluß haben, | ||||||
| 25 | weil dieser aus mehreren Vernunftschlüssen bestehen soll; dieser aber enthält | ||||||
| 26 | außer dem, was zu einem Vernunftschluß erfordert wird, noch einen | ||||||
| 27 | unmittelbaren Schluß durch die Contraposition und enthält vier Sätze. | ||||||
| 28 | Wenn aber auch wirklich nur drei Urtheile ausgedrückt würden, allein | ||||||
| 29 | die Folge des Schlußsatzes aus diesen Urtheilen wäre nur möglich Kraft | ||||||
| 30 | einer erlaubten logischen Umkehrung, Contraposition oder einer andern | ||||||
| 31 | logischen Veränderung eines dieser Vorderurtheile, so wäre gleichwohl der | ||||||
| 32 | Vernunftschluß ein ratiocinium hybridum ; denn es kommt hier gar nicht | ||||||
| 33 | darauf an, was man sagt, sondern was man unumgänglich nöthig hat, | ||||||
| 34 | dabei zu denken, wenn eine richtige Schlußfolge soll vorhanden sein. | ||||||
| 35 | Nehmet einmal an, in dem Vernunftschlusse: | ||||||
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