Kant: AA II, M. Immanuel Kants Entwurf und ... , Seite 011 |
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| 01 | In dem ganzen indischen Ocean vom Archipelagus der Philippinen | ||||||
| 02 | an bis in das Arabische Meer herrschen das Jahr hindurch zwei Wechselwinde: | ||||||
| 03 | der Nordostwind vom October bis in den Mai und der Südwestwind | ||||||
| 04 | vom Mai bis in den October. Der erste führt eine heitere Luft mit | ||||||
| 05 | sich, und der letzte ist die Ursache der Regenmonate in diesen Ländern, | ||||||
| 06 | obgleich einer sowohl als der andere über große Meere streicht. Bei den | ||||||
| 07 | philippinischen Inseln, in Mindanao und den übrigen, wird dieses noch | ||||||
| 08 | sichtbarer. Der ostliche Mousson kommt über das fast gränzenlose stille | ||||||
| 09 | Meer her und bringt dennoch heiter Wetter zuwege; dagegen der westliche | ||||||
| 10 | Wechselwind, der über Gegenden streicht, die mit Inseln und Landesspitzen | ||||||
| 11 | besäet sind, die Regenzeit mit sich führt. Kolbe führt an, daß auf | ||||||
| 12 | dem Vorgebirge der guten Hoffnung, sowohl auf der westlichen als ostlichen | ||||||
| 13 | dazu gehörigen Gegend, die Ostwinde das trockene Wetter, die | ||||||
| 14 | Westwinde aber die nasse Jahreszeit zuwege bringen, obgleich nicht abzusehen | ||||||
| 15 | ist, warum der Westwind lediglich feucht sein sollte, da gegen Osten | ||||||
| 16 | ein ebenso weites Meer als gegen Westen liegt. In dem mexikanischen | ||||||
| 17 | Meerbusen an der Landenge von Panama, in Carthagena und anderwärts | ||||||
| 18 | wechseln so wie im indischen Meere die N.O.= und W.s.W.=Winde | ||||||
| 19 | die zwei Jahreshälften hindurch. Die ersten, welche man Brisen nennt, | ||||||
| 20 | sind trocken und machen eine heitere Luft. Die letzte, welche man Vendavalen | ||||||
| 21 | nennt, sind feucht, und mit ihnen kommt die Regenzeit. Nun | ||||||
| 22 | kommen aber die N.o.=Winde über den großen Atlantischen Ocean und | ||||||
| 23 | sind nichtsdestoweniger trocken. Die W.S.W.=Winde aber können von | ||||||
| 24 | keinem großen Striche des stillen Meeres herkommen, weil in einer mittelmäßigen | ||||||
| 25 | Entfernung vom festen Lande beständige Ostwinde diese See beherrschen. | ||||||
| 26 | Auf der Fahrt, die die manillische Gallion von Acapulco nach | ||||||
| 27 | Manilla anstellt, und da sie, um den Ostwind zu genießen, sich nicht weit | ||||||
| 28 | vom Äquator entfernt, findet sie fast beständig heiteres Wetter. Allein | ||||||
| 29 | bei der Reise von Manilla nach Acapulco, da sie auf eine gewisse Höhe | ||||||
| 30 | über den nordlichen Wendezirkel steuret, fährt sie mit Hülfe der daselbst | ||||||
| 31 | herrschenden Westwinde nach Amerika und ist so gewiß daselbst öftere | ||||||
| 32 | Regen anzutreffen, daß sie sich auf diese lange Fahrt nicht einmal mit | ||||||
| 33 | Wasser versorgt, und alle verloren sein würden, wenn sie ausbleiben sollten. | ||||||
| 34 | Nun sage man mir, wenn man die gemeine Meinung behauptet, eine | ||||||
| 35 | begreifliche Ursache, warum der Ostwind, der auf dem stillen Meere und | ||||||
| 36 | zwar in der wärmsten Gegend streicht, allein trocken, der Westwind aber, | ||||||
| 37 | der über denselben Ocean weht, feucht und regenhaft sein müsse. | ||||||
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