Kant: AA I, M. Immanuel Kants Fortgesetzte ... , Seite 469

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 die angebliche Ursache gänzlich. Gleichwie der Mond nicht allein      
  02 denselben Augenblick, wenn er der durch die Sonne und Erde gezogenen      
  03 geraden Linie am nächsten tritt, sondern auch einige Tage vor= und nachher      
  04 die höchste Fluth macht, so sollten die vereinigte Planeten etliche Tage      
  05 hintereinander und in diesen etliche Stunden hindurch Wasserbewegungen      
  06 und Erdbeben gemacht haben, wenn sie einigen Antheil daran gehabt      
  07 hätten.      
           
  08 Ich muß meine Leser um Verzeihung bitten, daß ich sie so weit an      
  09 dem Firmament herumgeführt habe, um von den Begebenheiten richtig      
  10 urtheilen zu können, die auf unserer Erde vorgegangen sind. Die Mühe,      
  11 die man anwendet, die Qüllen der Irrthümer zu verstopfen, verschafft      
  12 uns auch ein gereinigtes Erkenntniß. Ich werde in dem folgenden Stücke      
  13 die merkwürdigsten Erscheinungen der großen Naturbegebenheit in Erwägung      
  14 ziehen, die seit denjenigen vorgegangen sind, welche ich in einer      
  15 besondern Abhandlung zu erklären mich bemüht habe.      
           
  16 Die Planeten sind vor dem Richterstuhle der Vernunft von der Anklage      
  17 losgesprochen, einigen Antheil an der Ursache der Verwüstung gehabt      
  18 zu haben, die uns in den Erdbeben widerfährt. Forthin soll sie niemand      
  19 deswegen weiter in Verdacht halten. Es sind wohl eher einige Planeten      
  20 in Verbindung gewesen, und man hat kein Erdbeben gefühlt. Peirescius      
  21 sah nach dem Zeugniß des Gassendus die seltene Verbindung der      
  22 3 obern Planeten im Jahr 1604, die sich nur in 800 Jahren einmal zuträgt,      
  23 aber die Erde blieb in Sicherheit. Wenn der Mond, auf den noch      
  24 einzig und allein die Vermuthung mit einiger Wahrscheinlichkeit fallen      
  25 könnte, daran Antheil hätte, so müßten die mitwirkende Ursachen in so      
  26 vollem Maße vorhanden sein, daß auch der schwächste äußere Einfluß den      
  27 Ausschlag der Veränderung geben könnte. Denn der Mond kommt oft in      
  28 die Stellung, darin er die größte Wirkung auf den Erdboden ausübt,      
  29 aber er erregt nicht eben so oft Erdbeben. Das vom 1. Nov. trug sich bald      
  30 nach dem letzten Viertheil zu; alsdann aber sind die Einflüsse desselben      
  31 die schwächsten, wie die Newtonische Theorie und die Erfahrung es ausweisen.      
  32 Lasset uns also nur auf unserem Wohnplatze selber nach der Ursache      
  33 fragen, wir haben die Ursache unter unsern Füßen.      
           
  34 Seit den Erschütterungen, die vorher schon angeführt worden, sind      
  35 keine vorgefallen, die sich in weitere Länder erstreckt hätten, als das Erdbeben      
  36 vom 18ten Febr. Es wurde in Frankreich, England, Deutschland      
  37 und den Niederlanden gefühlt. Es war an den mehresten Orten, wie aus      
           
     

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