Kant: AA I, Geschichte und Naturbeschreibung ... , Seite 455 |
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01 | Erdstriche bei dieser Jahreszeit natürlich ist, so werden diese beide | ||||||
02 | gegeneinander streitende Bewegungen sich aufhalten und erstlich eine trübe, | ||||||
03 | regnichte Luft wegen der zusammen getriebenen Dünste, dabei aber doch | ||||||
04 | einen hohen Stand des Barometers*) nach sich ziehen, weil die durch den | ||||||
05 | Streit zweier Winde zusammengedrückte Luft eine hohe Säule ausmachen | ||||||
06 | muß; und man wird dadurch sich in die scheinbare Unrichtigkeit der Barometer | ||||||
07 | finden lernen, wenn bei hohem Stande derselben doch regenhaftes | ||||||
08 | Wetter ist, denn alsdann ist eben diese Nässe der Luft eine Wirkung zweier | ||||||
09 | einander entgegen streitenden Luftzüge, welche die Dünste zusammentreiben | ||||||
10 | und dennoch die Luft ansehnlich verdichten und schwerer machen | ||||||
11 | können. | ||||||
12 | Ich kann nicht mit Stillschweigen übergehen: daß an dem schrecklichen | ||||||
13 | Tage Allerheiligen die Magnete in Augsburg ihre Last abgeworfen haben | ||||||
14 | und die Magnetnadeln in Unordnung gebracht worden. Boyle berichtet | ||||||
15 | schon, daß einsmals nach einem Erdbeben in Neapel eben dergleichen vorgegangen. | ||||||
16 | Wir kennen die verborgene Natur des Magnets zu wenig, um | ||||||
17 | von dieser Erscheinung Grund angeben zu können. | ||||||
18 | Von dem Nutzen der Erdbeben. |
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19 | Man wird erschrecken eine so fürchterliche Strafruthe der Menschen | ||||||
20 | von der Seite der Nutzbarkeit angepriesen zu sehen. Ich bin gewiß, man | ||||||
21 | würde gerne Verzicht darauf thun, um nur der Furcht und der Gefahren | ||||||
22 | überhoben zu sein, die damit verbunden sind. So sind wir Menschen geartet. | ||||||
23 | Nachdem wir einen widerrechtlichen Anspruch auf alle Annehmlichkeit | ||||||
24 | des Lebens gemacht haben, so wollen wir keine Vortheile mit Unkosten | ||||||
25 | erkaufen. Wir verlangen, der Erdboden soll so beschaffen sein: daß man | ||||||
26 | wünschen könnte darauf ewig zu wohnen. Über dieses bilden wir uns ein, | ||||||
27 | daß wir alles zu unserm Vortheil besser regieren würden, wenn die Vorsehung | ||||||
28 | uns darüber unsere Stimme abgefragt hätte. So wünschen wir | ||||||
29 | z. E. den Regen in unserer Gewalt zu haben, damit wir ihn nach unserer | ||||||
30 | Beqümlichkeit das Jahr über vertheilen könnten und immer angenehme | ||||||
31 | Tage zwischen den trüben zu genießen hätten. Aber wir vergessen die | ||||||
32 | Brunnen, die wir gleichwohl nicht entbehren könnten, und die doch auf | ||||||
33 | solche Art gar nicht würden unterhalten werden. Eben so wissen wir den | ||||||
*) Dergleichen bei dieser nassen Winterwitterung fast beständig bemerkt worden. | |||||||
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