Kant: AA I, Von den Ursachen der ... , Seite 420 |
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01 | Boden, über dem wir uns befinden, hohl ist und seine Wölbungen fast in | ||||||
02 | einem Zusammenhange durch weitgestreckte Gegenden sogar unterm Boden | ||||||
03 | des Meeres fortlaufen. Ich führe desfalls keine Beispiele aus der Geschichte | ||||||
04 | an; meine Absicht ist nicht eine Historie der Erdbeben zu liefern. | ||||||
05 | Das fürchterliche Getöse, das wie das Toben eines unterirdischen Sturmwindes, | ||||||
06 | oder wie das Fahren der Lastwagen über Steinpflaster bei vielen | ||||||
07 | Erdbeben gehört worden,die in weit ausgedehnte Länder zugleich fortgesetzte | ||||||
08 | Wirkung derselben, davon Island und Lissabon, die durch ein Meer | ||||||
09 | von mehr wie 4tehalb hundert deutschen Meilen abgesondert sind und an | ||||||
10 | einem Tage in Bewegung gesetzt worden, ein unleugbares Zeugniß ablegen, | ||||||
11 | alle diese Erscheinungen stimmen hierin überein den Zusammenhang | ||||||
12 | dieser unterirdischen Wölbungen zu bestätigen. | ||||||
13 | Ich müßte bis in die Geschichte der Erde im Chaos zurück gehen, | ||||||
14 | wenn ich etwas Begreifliches von der Ursache sagen sollte, die bei der | ||||||
15 | Bildung der Erde den Ursprung dieser Höhlen veranlaßt hat. Solche Erklärungen | ||||||
16 | haben nur gar zu viel Anschein von Erdichtungen, wenn man | ||||||
17 | sie nicht in dem ganzen Umfange der Gründe, die ihre Glaubwürdigkeit | ||||||
18 | enthalten, darstellen kann. Die Ursache mag aber sein, welche sie wolle, | ||||||
19 | so ist es doch gewiß, daß die Richtung dieser Höhlen den Gebirgen und | ||||||
20 | durch einen natürlichen Zusammenhang auch den großen Flüssen parallel | ||||||
21 | ist; denn diese nehmen das unterste Theil eines langen Thals ein, das | ||||||
22 | von beiden Seiten durch parallel laufende Gebirge beschränkt wird. Eben | ||||||
23 | dieselbe Richtung ist es auch, wornach die Erderschütterungen sich vornehmlich | ||||||
24 | ausbreiten. In den Erdbeben, welche sich durch den größten Theil | ||||||
25 | von Italien erstreckt haben, hat man an den Leuchtern in den Kirchen eine | ||||||
26 | Bewegung von Norden fast gerade nach Süden wahrgenommen; und dieses | ||||||
27 | neuliche Erdbeben hatte die Richtung von Westen nach Osten, welches | ||||||
28 | auch die Hauptrichtung der Gebirge ist, die den höchsten Theil von Europa | ||||||
29 | durchlaufen. | ||||||
30 | Wenn in so schrecklichen Zufällen den Menschen erlaubt ist einige | ||||||
31 | Vorsicht zu gebrauchen, wenn es nicht als eine verwegene und vergebliche | ||||||
32 | Bemühung angesehen wird allgemeinen Drangsalen einige Anstalten entgegen | ||||||
33 | zu setzen, die die Vernunft darbietet, sollte nicht der unglückliche | ||||||
34 | Überrest von Lissabon Bedenken tragen sich an demselben Flusse seiner | ||||||
35 | Länge nach wiederum anzubaün, welcher die Richtung bezeichnet, nach | ||||||
36 | welcher die Erderschütterung in diesem Lande natürlicherweise geschehen | ||||||
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