Kant: AA I, Allgemeine Naturgeschichte und ... , Seite 352

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Eigenschaften der denkenden Naturen nach sich ziehen, die      
  02 auf denselben befindlich sind, als deren Art zu wirken und zu leiden      
  03 an die Beschaffenheit der Materie, mit der sie verknüpft sind, gebunden      
  04 ist und von dem Maß der Eindrücke abhängt, die die Welt nach den      
  05 Eigenschaften der Beziehung ihres Wohnplatzes zu dem Mittelpunkte      
  06 der Attraction und der Wärme in ihnen erweckt.      
           
  07 Ich bin der Meinung, daß es eben nicht nothwendig sei, zu behaupten,      
  08 alle Planeten müßten bewohnt sein, ob es gleich eine Ungereimtheit      
  09 wäre, dieses in Ansehung aller, oder auch nur der meisten zu      
  10 leugnen. Bei dem Reichthume der Natur, da Welten und Systeme      
  11 in Ansehung des Ganzen der Schöpfung nur Sonnenstäubchen sind,      
  12 könnte es auch wohl öde und unbewohnte Gegenden geben, die nicht      
  13 auf das genaueste zu dem Zwecke der Natur, nämlich der Betrachtung      
  14 vernünftiger Wesen, genutzt würden. Es wäre, als wenn man sich aus      
  15 dem Grunde der Weisheit Gottes ein Bedenken machen wollte, zuzugeben,      
  16 daß sandichte und unbewohnte Wüsteneien große Strecken des      
  17 Erdbodens einnehmen, und daß es verlassene Inseln im Weltmeere      
  18 gebe, darauf kein Mensch befindlich ist. Indessen ist ein Planet viel      
  19 weniger in Ansehung des Ganzen der Schöpfung, als eine Wüste, oder      
  20 Insel in Ansehung des Erdbodens.      
           
  21 Vielleicht daß sich noch nicht alle Himmelskörper völlig ausgebildet      
  22 haben; es gehören Jahrhunderte und vielleicht tausende von Jahren      
  23 dazu, bis ein großer Himmelskörper einen festen Stand seiner Materien      
  24 erlangt hat. Jupiter scheint noch in diesem Streite zu sein. Die      
  25 merkliche Abwechselung seiner Gestalt zu verschiedenen Zeiten hat die      
  26 Astronomen schon vorlängst muthmaßen lassen, daß er große Umstürzungen      
  27 erleiden müsse und bei weiten so ruhig auf seiner Oberfläche nicht sei,      
  28 als es ein bewohnbarer Planet sein muß. Wenn er keine Bewohner      
  29 hat und auch keine jemals haben sollte, was für ein unendlich kleiner      
  30 Aufwand der Natur wäre dieses in Ansehung der Unermeßlichkeit der      
  31 ganzen Schöpfung? Und wäre es nicht vielmehr ein Zeichen der Armuth,      
  32 als des Überflusses derselben, wenn sie in jedem Punkte des Raumes      
  33 so sorgfältig sein sollte, alle ihre Reichthümer aufzuzeigen?      
           
  34 Allein man kann noch mit mehr Befriedigung vermuthen, daß,      
  35 wenn er gleich jetzt unbewohnt ist, er dennoch es dereinst werden wird,      
  36 wenn die Periode seiner Bildung wird vollendet sein. Vielleicht ist      
  37 unsere Erde tausend oder mehr Jahre vorhanden gewesen, ehe sie sich      
           
     

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