Kant: AA I, Allgemeine Naturgeschichte und ... , Seite 316 |
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01 | Charakter der Beständigkeit nicht mit sich führt, wofern sie der allgemeinen | ||||||
02 | Bestrebung der Anziehung, die durch alle ihre Theile wirkt, | ||||||
03 | nicht eine eben so durchgängige Bestimmung entgegen setzt, die dem | ||||||
04 | Hange der ersten zum Verderben und zur Unordnung gnugsam widerstehen | ||||||
05 | kann, wenn sie nicht Schwungskräfte ausgetheilt hat, die in der | ||||||
06 | Verbindung mit der Centralneigung eine allgemeine systematische Verfassung | ||||||
07 | festsetzen: so wird man genöthigt, einen allgemeinen Mittelpunkt | ||||||
08 | des ganzen Weltalls anzunehmen, der alle Theile desselben in verbundener | ||||||
09 | Beziehung zusammen hält und aus dem ganzen Inbegriff der | ||||||
10 | Natur nur ein System macht. Wenn man hiezu den Begriff von der | ||||||
11 | Bildung der Weltkörper aus der zerstreueten elementarischen Materie | ||||||
12 | fügt, wie wir ihn in dem vorhergehenden entworfen haben, jedoch ihn | ||||||
13 | allhier nicht auf ein absonderliches System einschränkt, sondern über | ||||||
14 | die ganze Natur ausdehnt: so wird man genöthigt, eine solche Austheilung | ||||||
15 | des Grundstoffes in dem Raume des ursprünglichen Chaos | ||||||
16 | zu gedenken, die natürlicher Weise einen Mittelpunkt der ganzen | ||||||
17 | Schöpfung mit sich bringt, damit in diesen die wirksame Masse, die | ||||||
18 | in ihrer Sphäre die gesammte Natur begreift, zusammengebracht und | ||||||
19 | die durchgängige Beziehung bewirkt werden könne, wodurch alle Welten | ||||||
20 | nur ein einziges Gebäude ausmachen. Es kann aber in dem unendlichen | ||||||
21 | Raume kaum eine Art der Austheilung des ursprünglichen | ||||||
22 | Grundstoffes gedacht werden, die einen wahren Mittel= und Senkungspunkt | ||||||
23 | der gesammten Natur setzen sollte, als wenn sie nach einem Gesetze | ||||||
24 | der zunehmenden Zerstreuung von diesem Punkte an in alle ferne | ||||||
25 | Weiten eingerichtet ist. Dieses Gesetz aber setzt zugleich einen Unterschied | ||||||
26 | in der Zeit, die ein System in den verschiedenen Gegenden des | ||||||
27 | unendlichen Raumes gebraucht, zur Reife seiner Ausbildung zu kommen, | ||||||
28 | so daß diese Periode desto kürzer ist, je näher der Bildungsplatz eines | ||||||
29 | Weltbaues sich dem Centro der Schöpfung befindet, weil daselbst die | ||||||
30 | Elemente des Stoffes dichter gehäuft sind, und dagegen um desto längere | ||||||
31 | Zeit erfordert, je weiter der Abstand ist, weil die Partikeln daselbst | ||||||
32 | zerstreueter sind und später zur Bildung zusammen kommen. | ||||||
33 | Wenn man die ganze Hypothese, die ich entwerfe, in dem ganzen | ||||||
34 | Umfange sowohl dessen, was ich gesagt habe, als was ich noch eigentlich | ||||||
35 | darlegen werde, erwägt, so wird man die Kühnheit ihrer Forderungen | ||||||
36 | wenigstens nicht für unfähig halten, eine Entschuldigung anzunehmen. | ||||||
37 | Man kann den unvermeidlichen Hang, den ein jegliches | ||||||
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