Kant: AA I, Allgemeine Naturgeschichte und ... , Seite 264 |
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01 | zur Bildung des Chaos das Vornehmste bei, als wodurch die Ruhe, | ||||||
02 | die bei einer allgemeinen Gleichheit unter den zerstreuten Elementen | ||||||
03 | herrschen würde, gehoben wird und das Chaos in den Punkten der | ||||||
04 | stärker anziehenden Partikeln sich zu bilden anfängt. Die Gattungen | ||||||
05 | dieses Grundstoffes sind ohne Zweifel nach der Unermeßlichkeit, die | ||||||
06 | die Natur an allen Seiten zeigt, unendlich verschieden. Die von | ||||||
07 | größter specifischen Dichtigkeit und Anziehungskraft, welche an und für | ||||||
08 | sich weniger Raum einnehmen und auch seltener sind, werden daher | ||||||
09 | bei der gleichen Austheilung in dem Raume der Welt zerstreuter, als | ||||||
10 | die leichtern Arten sein. Elemente von 1000mal größerer specifischen | ||||||
11 | Schwere sind tausend=, vielleicht auch millionenmal zerstreuter, als die | ||||||
12 | in diesem Maße leichtern. Und da diese Abfälle so unendlich als möglich | ||||||
13 | müssen gedacht werden, so wird, gleichwie es körperliche Bestandtheile | ||||||
14 | von einer Gattung geben kann, die eine andere in dem Maße | ||||||
15 | an Dichtigkeit übertrifft, als eine Kugel, die mit dem Radius des | ||||||
16 | Planetengebäudes beschrieben worden, eine andere, die den tausendsten | ||||||
17 | Theil einer Linie im Durchmesser hat, also auch jene Art von zerstreuten | ||||||
18 | Elementen um einen so viel größern Abstand von einander | ||||||
19 | entfernt sein, als diese. | ||||||
20 | Bei einem auf solche Weise erfüllten Raume dauert die allgemeine | ||||||
21 | Ruhe nur einen Augenblick. Die Elemente haben wesentliche Kräfte, | ||||||
22 | einander in Bewegung zu setzen, und sind sich selber eine Quelle des | ||||||
23 | Lebens. Die Materie ist sofort in Bestrebung, sich zu bilden. Die | ||||||
24 | zerstreuten Elemente dichterer Art sammlen vermittelst der Anziehung | ||||||
25 | aus einer Sphäre rund um sich alle Materie von minder specifischer | ||||||
26 | Schwere; sie selber aber zusammt der Materie, die sie mit sich vereinigt | ||||||
27 | haben, sammlen sich in den Punkten, da die Theilchen von noch | ||||||
28 | dichterer Gattung befindlich sind, diese gleichergestalt zu noch dichteren | ||||||
29 | und so fortan. Indem man also dieser sich bildenden Natur in Gedanken | ||||||
30 | durch den ganzen Raum des Chaos nachgeht, so wird man | ||||||
31 | leichtlich inne: daß alle Folgen dieser Wirkung zuletzt in der Zusammensetzung | ||||||
32 | verschiedener Klumpen bestehen würden, die nach Verrichtung | ||||||
33 | ihrer Bildungen durch die Gleichheit der Anziehung ruhig und auf | ||||||
34 | immer unbewegt sein würden. | ||||||
35 | Allein die Natur hat noch andere Kräfte im Vorrath, welche sich | ||||||
36 | vornehmlich äußern, wenn die Materie in feine Theilchen aufgelöset | ||||||
37 | ist, als wodurch selbige einander zurück stoßen und durch ihren Streit | ||||||
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