Kant: AA I, Allgemeine Naturgeschichte und ... , Seite 263

     
           
 

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  01 frei und unverändert fortsetzen. Die Gründe der zuerst angeführten      
  02 Wahrscheinlichkeit erfordern durchaus diesen Begriff, und weil zwischen      
  03 beiden Fällen kein dritter möglich ist: so kann dieser mit einer vorzüglichen      
  04 Art des Beifalles, welcher ihn über die Scheinbarkeit einer      
  05 Hypothese erhebt, angesehen werden. Man könnte, wenn man weitläuftig      
  06 sein wollte, durch eine Reihe aus einander gefolgerter Schlüsse      
  07 nach der Art einer mathematischen Methode mit allem Gepränge, das      
  08 diese mit sich führt, und noch mit größerm Schein, als ihr Aufzug in      
  09 physischen Materien gemeinhin zu sein pflegt, endlich auf den Entwurf      
  10 selber kommen, den ich von dem Ursprunge des Weltgebäudes darlegen      
  11 werde; allein ich will meine Meinungen lieber in der Gestalt einer      
  12 Hypothese vortragen und der Einsicht des Lesers es überlassen, ihre      
  13 Würdigkeit zu prüfen, als durch den Schein einer erschlichenen Überführung      
  14 ihre Gültigkeit verdächtig machen und, indem ich die Unwissenden      
  15 einnehme, den Beifall der Kenner verlieren.      
           
  16 Ich nehme an: daß alle Materien, daraus die Kugeln, die zu      
  17 unserer Sonnenwelt gehören, alle Planeten und Kometen, bestehen,      
  18 im Anfange aller Dinge, in ihren elementarischen Grundstoff aufgelöset,      
  19 den ganzen Raum des Weltgebäudes erfüllt haben, darin jetzt      
  20 diese gebildete Körper herumlaufen. Dieser Zustand der Natur, wenn      
  21 man ihn auch ohne Absicht auf ein System an und für sich selbst      
  22 betrachtet, scheint nur der einfachste zu sein, der auf das Nichts folgen      
  23 kann. Damals hatte sich noch nichts gebildet. Die Zusammensetzung      
  24 von einander abstehender Himmelskörper, ihre nach den Anziehungen      
  25 gemäßigte Entfernung, ihre Gestalt, die aus dem Gleichgewichte der      
  26 versammleten Materie entspringt, sind ein späterer Zustand. Die Natur,      
  27 die unmittelbar mit der Schöpfung gränzte, war so roh, so ungebildet      
  28 als möglich. Allein auch in den wesentlichen Eigenschaften der Elemente,      
  29 die das Chaos ausmachen, ist das Merkmal derjenigen Vollkommenheit      
  30 zu spüren, die sie von ihrem Ursprunge her haben, indem      
  31 ihr Wesen aus der ewigen Idee des göttlichen Verstandes eine Folge      
  32 ist. Die einfachsten, die allgemeinsten Eigenschaften, die ohne Absicht      
  33 scheinen entworfen zu sein, die Materie, die bloß leidend und der Formen      
  34 und Anstalten bedürftig zu sein scheint, hat in ihrem einfachsten Zustande      
  35 eine Bestrebung, sich durch eine natürliche Entwickelung zu einer      
  36 vollkommenern Verfassung zu bilden. Allein die Verschiedenheit in      
  37 den Gattungen der Elemente trägt zu der Regelung der Natur und      
           
     

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