Kant: AA I, Allgemeine Naturgeschichte und ... , Seite 229 |
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01 | Ich habe die Schwierigkeiten, die von Seiten der Religion meine | ||||||
02 | Sätze zu bedrohen schienen, hinweg zu räumen gesucht. Es giebt | ||||||
03 | einige nicht geringere in Ansehung der Sache selber. Wenn es gleich | ||||||
04 | wahr ist, wird man sagen, daß Gott in die Kräfte der Natur eine | ||||||
05 | geheime Kunst gelegt hat, sich aus dem Chaos von selber zu einer | ||||||
06 | vollkommenen Weltverfassung auszubilden, wird der Verstand des | ||||||
07 | Menschen, der bei den gemeinsten Gegenständen so blöd ist, in so | ||||||
08 | großem Vorwurfe die verborgene Eigenschaften zu erforschen vermögend | ||||||
09 | sein? Ein solches Unterfangen heißt eben so viel, als wenn man | ||||||
10 | sagte: Gebt mir nur Materie, ich will euch eine Welt daraus | ||||||
11 | bauen. Kann dich die Schwäche deiner Einsichten, die an den geringsten | ||||||
12 | Dingen, welche deinen Sinnen täglich und in der Nähe vorkommen, | ||||||
13 | zu schanden wird, nicht leeren: daß es vergeblich sei, das | ||||||
14 | Unermeßliche und das, was in der Natur vorging, ehe noch eine | ||||||
15 | Welt war, zu entdecken? Ich vernichte diese Schwierigkeit, indem ich | ||||||
16 | deutlich zeige, daß eben diese Untersuchung unter allen, die in der | ||||||
17 | Naturlehre aufgeworfen werden können, diejenige sei, in welcher man | ||||||
18 | am leichtesten und sichersten bis zum Ursprunge gelangen kann. Eben | ||||||
19 | so wie unter allen Aufgaben der Naturforschung keine mit mehr Richtigkeit | ||||||
20 | und Gewißheit aufgelöset worden, als die wahre Verfassung | ||||||
21 | des Weltbaues im Großen, die Gesetze der Bewegungen und das | ||||||
22 | innere Triebwerk der Umläufe aller Planeten, als worin die Newtonische | ||||||
23 | Weltweisheit solche Einsichten gewähren kann, dergleichen man sonst | ||||||
24 | in keinem Theile der Weltweisheit antrifft: eben also, behaupte ich, sei | ||||||
25 | unter allen Naturdingen, deren erste Ursache man nachforscht, der Ursprung | ||||||
26 | des Weltsystems und die Erzeugung der Himmelskörper sammt | ||||||
27 | den Ursachen ihrer Bewegungen dasjenige, was man am ersten gründlich | ||||||
28 | und zuverlässig einzusehen hoffen darf. Die Ursache hievon ist | ||||||
29 | leicht zu ersehen. Die Himmelskörper sind runde Massen, also von der | ||||||
30 | einfachsten Bildung, die ein Körper, dessen Ursprung man sucht, nur | ||||||
31 | immer haben kann. Ihre Bewegungen sind gleichfalls unvermischt. Sie | ||||||
32 | sind nichts als eine freie Fortsetzung eines einmal eingedrückten Schwunges, | ||||||
33 | welcher, mit der Attraction des Körpers im Mittelpunkte verbunden, | ||||||
34 | kreisförmicht wird. Überdem ist der Raum, darin sie sich bewegen, leer, | ||||||
35 | die Zwischenweiten, die sie von einander absondern, ganz ungemein groß | ||||||
36 | und also alles sowohl zur unverwirrten Bewegung, als auch deutlichen | ||||||
37 | Bemerkung derselben auf das deutlichste aus einander gesetzt. Mich dünkt, | ||||||
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