Kant: Briefwechsel, Brief 899, Von [Iohann Benjamin Erhard]. |
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| Von [Iohann Benjamin Erhard]. | |||||||
| [Beilage.] | |||||||
| 1) Es fehlt der Moral und den Naturrecht an allgemeingeltenden Principien, | |||||||
| und doch sind alle möglichen Versuche diese Principien in äussern Verhältnißen | |||||||
| zu finden schon gemacht. | |||||||
| 2) Eben so erhielt sich jede Hauptfecte der Philosophie noch immer, und war allezeit | |||||||
| in Widerlegung der andern siegreich | |||||||
| 3) Dieß schlägt alle Hofnung nieder jemals zur Einigkeit zu gelangen wenn sich | |||||||
| nicht eine gantz verschiedene Betrachtungsart, dieser Objecte auffinden lasst, | |||||||
| die von diesen Phänomen in der Philosophischen Welt hinlängliche Rechenschaft | |||||||
| gibt. | |||||||
| 4) Man kan sich zu diesen Versuch die Aufgabe so vorlegen: was kan ich überhaupt | |||||||
| von diesen Gegenstanden wissen? | |||||||
| 5) Dieß führt auf die Untersuchung des Wissens selbst und da dieses das Wort | |||||||
| in weitre Bedeutung genommen 3 Hauptclassen hat, nehmlich 1) das aus Begriffen, | |||||||
| 2) das aus Figuren und Rechnungen und 3) das aus Erfahrung bewiesene | |||||||
| letzte 2 aber die größte Uberzeugung bey sich führen, so ist am sichersten | |||||||
| von ihnen anzufangen. | |||||||
| 6) Was sind die Bedingungen für Erfahrung wäre also die erste Frage | |||||||
| 7) In der Kritik ist sie beantwortet, und die Beantwortung gab zugleich die | |||||||
| Entscheidungsgründe zur Beantwortung der Hauptfrage (4) | |||||||
| 8) Allein hiezu ist der klare Begriff von Erfahrung zum Grunde gelegt, der aber | |||||||
| als ein wirklich schon sehr zusammengesetzter Begriff verschiedentlich gedacht | |||||||
| werden kan; in ihm liegt also die Quelle der Mißverständnisse über die Kritik. | |||||||
| 9) Das unbestrittne Ingredienz jeder Erfahrung sind Vorstellungen, sie sind also | |||||||
| ein noch einfacherer Gegenstand als Erfahrung, und wenn man die Frage | |||||||
| also, so stellte, was sind die Bedingungen für Vorstellung, so würde der Begriff | |||||||
| von Erfahrung, dadurch mehr bestimmt. | |||||||
| 10) Vorstellung, ist der höchste Begriff, der allen muß vorgestellt werden, wenn | |||||||
| sich also im allgemeinen etwas bestimmen liesse, so müßte dieß von allen | |||||||
| Gegenstanden der Erkenntniß gelten | |||||||
| 11) Dieß läßt sich aber, weil die Vorstellungen nicht gegebne Dinge sind, von | |||||||
| denen sich nur gemeinsame Merkmale abstrahiren ließen, sondern weil sie uns | |||||||
| angehören und also unter den Bedingungen stehen müssen, vermöge welcher | |||||||
| sie unsere Vorstellungen sind. | |||||||
| 12) Die Untersuchung dieser Bedingungen, giebt die Theorie des Vorstellungsvermögen | |||||||
| überhaupt. | |||||||
| 13) Nach dieser Theorie laßen sich dan die besondern Arten von Vorstellungen, | |||||||
| zwar nicht ableiten, aber genau in ihrer Art bestimmen und ihre Kennzeichen | |||||||
| angeben. | |||||||
| 14) Vorstellung selbst aber, läßt sich nicht für sich erklären sondern nur durch das | |||||||
| allgemeinste Faktum das Bewußtseyn bestimmen und dann erörtern. | |||||||
| Theorie des V. V. | |||||||
| 15) Im Bewußtseyn wird das Object vom Subject und beede von der Vorstellung | |||||||
| unterschieden, und diese auf beede bezogen. | |||||||
| 16) Das, was die Beziehung aufs Object möglich macht, ist der Stoff, was aufs | |||||||
| Subject, die Form der Vorstellung. | |||||||
| 17) Der Stoff muß etwas Gegebenes, die Form etwas Hervorgebrachtes seyn, | |||||||
| sonst könnte keine verschiedene Beziehung möglich seyn. | |||||||
| 18) Das Vermögen den Stoff zu empfangen heisse Receptivität, und das die | |||||||
| Form hervorzubringen Spontaneität. | |||||||
| 19) Das Subject verhält sich als das Unterscheidende, das Object als das zu | |||||||
| Unterscheidende, und die Vorstellung als das von beeden Unterschiedene, der | |||||||
| Stoff muß daher ein Mannichfaltiges und die Form Einheit seyn. Kein Ding | |||||||
| an sich ist also vorstellbar. | |||||||
| 20) Das Bewußtseyn ist klar wenn es Bewußtseyn der Vorstellung als solcher, | |||||||
| deutlich wenn es das Bewußtseyn des Subjects als eines Vorstellenden ist. | |||||||
| 21) Die Beziehung der Vorstellung aufs Object im klaren Bewußtseyn heißt Erkenntniß. | |||||||
| 22) Die Erkenntniß fordert also eine unmittelbare Vorstellung, und die Beziehung | |||||||
| der Vorstellung von dieser Vorstellung auf das Object der ersten Vorstellung. | |||||||
| 23) Die Vorstellung in so fern sie Stoff einer andern ist, muß selbst der Form | |||||||
| gemäß vorgestellt werden. Die Form an sich ist also nicht vorstellbar. | |||||||
| 24) Wir erhalten Vorstellungen durch unsere Spontaneität wenn sie selbst auf die | |||||||
| Receptivität als Stoff wirkt. (20. 22. | |||||||
| 25) Das Vermögen unmittelbar durch die Receptivität (oder durch die Art des | |||||||
| Afficirtwerdens) zu Vorstellungen zu gelangen heißt Sinnlichkeit, durch Spontaneität | |||||||
| dazu zu gelangen, Verstand in weitre Bedeutung (Verstand u. Vernunft). | |||||||
| 26) Die sinnliche Vorstellung aufs Object bezogen heißt Anschauung aufs Subject | |||||||
| Empfindung. | |||||||
| 27) Eine Vorstellung ist a priori wenn sie unmittelbar durch Spontaneität, | |||||||
| a posteriori wenn sie durch Receptivität hervorgebracht ist. Keine Vorstellung | |||||||
| ist also a priori als die Vorstellung einer Form der Vorstellung. | |||||||
| 28) Die Form des äussern Sinnes ist Einheit des Mannichfaltigen ausser=, des | |||||||
| innern des Mannichfaltigen nacheinander. Die Vorstellungen dieser Form | |||||||
| Raum und Zeit sind Anschauungen a priori (27) | |||||||
| 29) Erkenntniß fordert Anschauung (22) und Vorstellung der Anschauung selbst, | |||||||
| die selbst der Form gemäß nur vorgestellt wird. | |||||||
| 30) Einheit des schon vorgestellten Mannichfaltigen hervorbringen, heist urtheilen, | |||||||
| diese Einheit zu erst hervorbringen synthetisch, die hervorgebrachte wieder aufs | |||||||
| Object beziehen, analytisch urtheilen. Das Object ist hier das logische Subject | |||||||
| und die Beziehung darauf das Prädicat. Iedes logische oder in Worten | |||||||
| ausgedrückte urtheil ist daher analytisch. | |||||||
| 31) Das Vermögen zu urtheilen ist Verstand in engster Bedeutung. | |||||||
| 32) Die Einheit mehrerer Prädicate in einem Subject machen einen Begriff aus. | |||||||
| Die Form der Begriffe und des Verstandes ist also objective Einheit. (29) | |||||||
| [ abgedruckt in : AA XII, Seite 348 ] [ Brief 898 ] [ Brief 900 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |
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