Kant: Briefwechsel, Brief 864, Von Iohann Heinrich Tieftrunk. |
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| Von Iohann Heinrich Tieftrunk. | |||||||
| Hall[e] den 7 Jun. | |||||||
| 1800. | |||||||
| Verehrungswürdigster Mann | |||||||
| Schon vor langer Zeit habe ich Sie von den unangenehmen Mißhelligkeiten | |||||||
| benachrichtigt, worin ich, als Herausgeber Ihrer vermischten | |||||||
| Schriften, mit dem Herrn Nicolovius gerathen bin. Ich meldete Ihnen | |||||||
| nicht eher etwas, als ich alle Wege versucht hatte, mit dem HE. Nicolovius | |||||||
| auf irgend eine gütliche Art die Sache beizulegen. Ich wei | |||||||
| nicht, wie es kommt, daß alle meine Vorstellungen bei dem HE Nicolovius | |||||||
| ohne Erfolg und ohne die mindeste Aussicht auf eine friedliche | |||||||
| Beilegung geblieben sind. Es ist menschlich, daß Menschen über Dinge, | |||||||
| die das Mein und Dein betreffen, streitig werden; aber es ist doch auch | |||||||
| menschlich, den Friedensvorstellungen Gehör zu geben, besonders wenn | |||||||
| kein Theil den Willen gehabt hat, dem Andern zu nahe zu thun Ich | |||||||
| habe nie einen Proceß gehabt und nie geglaubt, daß ich einen haben | |||||||
| würde, weil ich immer sorgfaltig beflißen war, mich innerhalb den | |||||||
| Gesetzen zuhalten. Dies glaube ich nun auch in Ansehung der Herausgabe | |||||||
| Ihrer kleinen Schriften gethan zu haben; finde mich aber succeßiv | |||||||
| so verflochten, so unter den Formalitäten des Gerichthofes und der | |||||||
| Gesetzes=Ordnung gehalten, daß ich von einem Termin zum andern | |||||||
| und von einem Schritt zum andern gezogen werde, ohne das Mittel | |||||||
| und Ende des ganzen Handels absehen zu können. Viele Kosten sind | |||||||
| schon aufgelaufen und vieles ist schon hin und her geschrieben worden, | |||||||
| ohne daß man auch nur ahnden könne, was für eine Wendung und | |||||||
| Ausgang die Sache eigentlich nehmen werde. | |||||||
| Indeßen ist doch, wie ich glaube, vor der Hand so viel klar, da | |||||||
| ich nicht eigenmächtig gehandelt und nicht den geringsten Willen gehabt | |||||||
| habe, dem HE Nicolovius zunahe zu thun und, daß, gesetzt er | |||||||
| hielte sich für lädirt, ich bereitwillig bin, ihm alle thunliche Genugthuung | |||||||
| zu geben. Facta infecta fieri nequeunt. Ich wünschte freilich, | |||||||
| daß der Stein des Anstoßes für den HE. Nicolovius gar nicht | |||||||
| da wäre; allein wenn er nun einmal da ist und nicht vernichtet werden | |||||||
| kann, so ist es doch das gerathenste, daß man übereinkomme, wie | |||||||
| man sich nicht mehr an ihn stoßen könne. | |||||||
| Grade so, wie die Sammlung Ihrer Verm[ischten] Schriften vorliegt, | |||||||
| glaubte ich sie veranstalten zu müßen und hierin meine Sache recht | |||||||
| gut gemacht zu haben. Konnte auch nicht denken, daß in irgend einem | |||||||
| Punkte gefehlt sei, weil Sie nicht die geringste Erinnerung dagegen | |||||||
| machten. Ein einziger Wink von Ihnen würde für mich der gemeßenste | |||||||
| Bestimmungsgrund gewesen sein, es so abzuändern, wie Sie es hätten | |||||||
| haben wollen. Während ich nichts arges wähne und fürchte, sehe ich | |||||||
| mich auf ein Mal in einen Proceß verwickelt, der, da alle Versuche | |||||||
| zum friedlichen Abkommen fehlschlagen, immer verwickelter wird und | |||||||
| schon einem Labyrinthe gleicht Am Seil der iuristischen Förmlichkeiten | |||||||
| gezogen habe ich Ihnen schon litem denuncieren müßen und muß das | |||||||
| Skandal erleben, wenigstens anscheinend mit einem Manne zu hadern, | |||||||
| den ich über alles hochschätze und ehre. Und wer weiß, wohin dieser | |||||||
| herzzernagende, langweilige und sich immer mehr verschlingende Rechtsgang | |||||||
| noch leiten kann? | |||||||
| Wie konnte ich denken, daß HE Nicolovius sich durch die Aufnahme | |||||||
| Ihrer beiden Briefe an Nikolai (die nur einen Bogen ausmachen) | |||||||
| für beleidigt halten würde? Die Abhandlung "über die Macht | |||||||
| des Gemüths" etc. (aus den hufelandischen Iournal) desgleichen die | |||||||
| "ob das menschliche Geschlecht im Fortschr. z. B. etc." konnte ich schon | |||||||
| nicht weglaßen, wenn ich nicht indiskret gegen den Autor sein wollte | |||||||
| und sie waren auch schon in der Druckerei, ehe die Nikoloviussche | |||||||
| Sammlung erschien. Die Ergänzung dieser beiden Stücke durch das | |||||||
| Dritte aus der Nikoloviusschen Sammlung schien mir Ihrem Briefe | |||||||
| gemäß, theils nach dem Wortverstande, theils aber und noch mehr | |||||||
| deshalb, weil, wenn man nicht das Publikum lädiren wollte, entweder | |||||||
| alle drei Stücke oder gar keins in der Sammlung der Verm. Schr. | |||||||
| enthalten sein mußte. So, hielte ich dafür, wäre alles in seiner Ordnung | |||||||
| und sollte ich hierbei in dem einen oder andern Punkte gefehlt | |||||||
| haben, so durfte ich von Ihnen, da Sie das Verhältniß mit dem HE | |||||||
| Nikolovius kannten, erwarten, daß Sie Ihr veto einlegen würden; da | |||||||
| ich Ihnen einige Monate vor der Publikation das Ganze zur Einsicht | |||||||
| zuschickte. Ihr Stillschweigen und da von keiner Seite der geringste | |||||||
| Einspruch geschah, ließ mich nun glauben, daß alles wohl gemacht sei. | |||||||
| Hinterdrein aber klagt HE. Nikolovius und ist durch keine Vorstellungen | |||||||
| zu besänftigen Ich wenigstens habe alle Vergleichsvorschläge vergeblich | |||||||
| versucht. Aber noch immer wünschte ich, selbst wenn es mit | |||||||
| vielem Nachtheile für mich verbunden wäre, aus dem verdrieslichen | |||||||
| Proceße zu kommen. Gefallen dem HE Nikolovius meine Vorschläge | |||||||
| nicht, so mögte er doch selbst andere thun; denn, sollte ich nach dem | |||||||
| strengen Rechte ihm zu nahe getreten sein, so bin ich ia gern erbötig, | |||||||
| ihm auf irgend eine Art genug zu thun. Und was wird es denn am | |||||||
| Ende sein, das ich ihm nach Urtheil und Recht zu leisten verbunden | |||||||
| werden sollte! Sollte ich ihm dafür nicht durch einen humanen Vergleich | |||||||
| auch gerecht werden können? Wäre es nicht den Grundsätzen | |||||||
| der Humanität gemäß, daß wir in Frieden aus einander schieden und | |||||||
| nicht länger das Spiel in den Händen der Advokaten blieben? Ich | |||||||
| bin dieses Spiels, wo man mit sich machen laßen muß, was das | |||||||
| Schlangen=Gewinde der Formalitäten mit sich bringt und wo man | |||||||
| ganz Maschine ist, so überdrüßig, daß ich die Erledigung um vieles | |||||||
| erkaufen möchte, wenn es nur mit Ehren geschehen könnte. Alle meine | |||||||
| Mühe ist aber bisher vergeblich gewesen. Ob Sie zum Frieden etwas | |||||||
| thun können, weiß ich nicht; glaube es aber doch und hoffe es fast. | |||||||
| Bisher, denke ich, hat Sie Kränklichkeit daran verhindert, in dieser | |||||||
| Sache ein Wort von Sich zu geben. Vielleicht sind Sie nun im Stande, | |||||||
| mit dem HE Nikolovius die Sache nach Grundsätzen der Billigkeit zu | |||||||
| verhandeln und ihn zum friedlichen Abkommen zustimmen. Ich bin | |||||||
| noch immer bereit, ihm, was möglich ist, zu Willen zuthun; denn ich | |||||||
| habe ihn ia nie lädiren wollen. | |||||||
| Sollte es indeßen Ihnen so wenig als mir möglich sein, irgend | |||||||
| einen Weg zur gütlichen Beendigung der Sache zufinden, so muß ich | |||||||
| mir dann, leider, gefallen laßen, was die rechtlichen Förmlichkeiten | |||||||
| endlich herausbringen werden. | |||||||
| Ihnen aber, theurer Mann, habe ich die Sache doch noch ein Mal | |||||||
| vorstellen wollen; sie wende sich indeßen, wie sie wolle, so werde ich | |||||||
| doch immer mit der größten Achtung gegen Sie verharren | |||||||
| Der Ihrige | |||||||
| J. H. Tieftrunk | |||||||
| [ abgedruckt in : AA XII, Seite 310 ] [ Brief 863 ] [ Brief 864a ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |
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