Kant: Briefwechsel, Brief 726, Von Iustus Wilhelm Christian Fischer. |
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| Von Iustus Wilhelm Christian Fischer. | |||||||
| Lauban d: 4ten Dcbr: | |||||||
| 1796. | |||||||
| Edler | |||||||
| Verehrungswürdigster Greis | |||||||
| Mit Ehrerbietung und innigster Hochachtung, unterstehe ich mich, | |||||||
| an Ihnen eine Bitte zu wagen, an deren Erfüllung mich das festeste | |||||||
| Vertrauen auf Ihre Weisheit und edle Menschenliebe nicht zweifeln | |||||||
| läßt. ich erkenne zwar die Wichtigkeit derselben und finde mich fast | |||||||
| noch bis jezt der Erfüllung unwürdig, allein ich weiß auch daß ich zu | |||||||
| den Edelsten und biedersten Menschenfreund bitte, deßen größtes Glück | |||||||
| es ist, Menschen glücklich zu machen, und welcher auch mich, der ich | |||||||
| Ihm zwar ganz unbekannt, und arm bin, dennoch nicht verachten | |||||||
| sondern mit der größten Biederkeit eines Menschenfreundes behandeln | |||||||
| wird. Verehrungswürdigster Greis, ich will meine Worte nicht einhüllen, | |||||||
| sondern mit Offenherzigkeit und kindlichen Vertrauen zu Ihnen | |||||||
| reden, und o! ich bin nur zu fest überzeugt, daß Sie mich nicht zurückstoßen, | |||||||
| sondern wenigstens einer Antwort auf meine Bitte würdigen | |||||||
| werden! Ich bitte Ihnen um ein Glück, welches Sie mir gewähren | |||||||
| können, wenn Sie mich sonst deßelben würdig finden, ich bitte um | |||||||
| Ihre Gewogenheit, Freundschaft und Väterlichen Rath, ich verlange | |||||||
| viel! noch mehr, ich fühle es tief, daß ich deßen noch unwürdig bin, | |||||||
| aber erhören Sie immer die Bitte eines 18.jährigen Menschen, deßen | |||||||
| innigster Wunsch es ist, ein Muster der Weisheit und Tugend zu | |||||||
| werden, und es Ihnen nur mit der größten Aufmerksamkeit auf Ihre | |||||||
| Weisen Lehren und mit der strengsten Erfüllung derselben dancken | |||||||
| kann. Ich bin der Sohn eines unglücklichen aber rechtschaffenen Vaters, | |||||||
| der mir bey seinen Tode nichts als erhabne Begriffe von Weisheit | |||||||
| und unerschütterlicher Tugend hinterließ, er ward mir nur leider zu | |||||||
| früh geraubt, als daß er mich auf den rauhen Weg zu diesen edlen | |||||||
| Ziele hätte begleiten und mit seinen väterlichen Rath unterstüzen | |||||||
| können. Er ist bereits 6. Iahre todt und ich leider durch keinen | |||||||
| weisen, gütigen Rath unterstüzt irre einsam und suche vergebens das | |||||||
| was ich nicht finde, und deßen Erhabenheit mir doch immer vor Augen | |||||||
| schwebt, und werde es nimmer finden, wenn ich meine Zuflucht nicht | |||||||
| zu einen edlen Weisen und Biedermann nehme, deßen Vertrauen ich | |||||||
| mich würdig zu machen suche. Verehrungswürdigster Greis! o! erhören | |||||||
| Sie meine Bitte seyn Sie mein Führer und Rathgeber, und beglücken | |||||||
| Sie mich immer mit den hohen Bewustseyn, den Edelsten, und Weisesten | |||||||
| gefunden zu haben. ach ich will Ihnen gern mein Herz aufschließen, | |||||||
| keiner meiner innersten und verborgensten mir bewusten Fehler und | |||||||
| Triebe soll Ihnen verborgen bleiben, und ob ich gleich das Glück nicht | |||||||
| haben kann Ihren Unterricht mündlich zu genießen, so sollen doch die | |||||||
| wenigen Worte die Sie mir schriftlich mittheilen können tief, tief, in mein | |||||||
| Herz gegraben, und unausrottbar seyn, und sollte ich wirklich nimmer | |||||||
| mehr das Glück haben können Ihnen meinen innigsten Dank mündlich | |||||||
| zu erkennen zu geben sollte mir das Schicksal dieses Glück nicht gönnen, | |||||||
| so will ich wenigstens einst wenn Sie nicht mehr sind Ihren Hügel | |||||||
| aufsuchen, und da Thränen des innigsten Danckes, dem Mann weihen, | |||||||
| welchen ich mein ganzes Glück hier, und gewiß auch einst in höhern | |||||||
| Sphären zu verdancken habe, aber ach! ich weis nicht einmal ob Sie | |||||||
| jezt noch leben, ich weis nicht ob dieser Brief der die Grundlage | |||||||
| meines Glücks seyn soll, das Glück hat in Ihre Hände zu kommen! | |||||||
| da es mir ohnmöglich ist etwas gewißes zu erfahren, daher auch die | |||||||
| besondere Anmerkung außen an meinen Brief damit er, wenn Sie | |||||||
| Verehrungswürdigster nicht mehr wären und nicht zu meinen besten | |||||||
| würken könnten nicht erst erbrochen werden darf, verzeihen Sie mir | |||||||
| diese besondere Anmerkung welche eigentlich die Nothwendigkeit erfordert, | |||||||
| wenn dieser Brief denn ungelesen bleiben soll. Aber ich schwebe | |||||||
| doch in der süßen Hofnung daß die Vorsehung mir meine Bitte gewähren | |||||||
| und dem Mann, der noch zu vieler Tausend besten wirken | |||||||
| kann, auch noch für mich, noch lange erhalten wird. O! welches | |||||||
| Glück dann für mich, ich habe noch einen Bruder, diesen will ich zugleich | |||||||
| ohne sein Wißen den Weg zu Ihren großen und edlen Herzen | |||||||
| bahnen, und ihn dann mit Ihrer ersten Antwort eine Freude machen, | |||||||
| welche gewiß nichts übertreffen kann, Er ist ein Iahr älter als ich, | |||||||
| und wünscht eben so sehr als ich, den wahren Weg zu diesen erhabnen | |||||||
| Ziele zu finden, o! welche Freude werden ihn dann die ersten weisen | |||||||
| Lehren eines Mannes seyn, dessen Nammen jedermann mit Ehrerbietung | |||||||
| ausspricht, die Vorsehung trennte uns weit, und wir können nicht das | |||||||
| Glück genießen in brüderlicher Eintracht zu den edelsten Ziele zu | |||||||
| streben, er hat die Handlung erlernet, und conditionirt jezt in Leipzig. | |||||||
| Ich hatte von jugend auf, einen Trieb zu der großen Wißenschaft der | |||||||
| Naturlehre, um diesen Hang mehr Nahrung zu geben, erlernte ich die | |||||||
| Apothekerkunst, lernte in Dresden aus und conditionire jezt in Lauban | |||||||
| um mir und meiner verlaßnen Mutter nebst 3. Schwestern in Gemeinschaft | |||||||
| meines Bruders, den nöthigen kümmerlichen Unterhalt zu erwerben. | |||||||
| Allein weit entfernt von den Vorsaz immer Apotheker zu | |||||||
| bleiben, wünsche ich lieber meine Beschäftigung blos auf die Naturlehre | |||||||
| einzuschränken, allein meine Armuth zwingt mich dazu, und ich | |||||||
| bin auch nicht in Stande wegen Mangel des Vermögens mich mit | |||||||
| dieser mir so lieben Wißenschaft zu beschäftigen, unter vielen vergeblichen | |||||||
| Versuchen ist mir doch dieser gelungen, mir die Gewogenheit | |||||||
| des berühmtesten Mannes in der Kräuterkunde des Herrn Professors | |||||||
| Hedwigs zu Leipzig zu erwerben. Er war ein alter Freund meines | |||||||
| unglücklichen Vaters und läßt sich alles angelegen seyn mich wenigstens | |||||||
| in dieser Wißenschaft zu unterstüzen! o! wollte doch Gott daß ich das | |||||||
| Glück hätte auch die Ihrige zu gewinnen, dann wäre der Grund zu | |||||||
| meinem Glück fertig. Er versprach mir wenn es Ihn möglich sey | |||||||
| mich künftige Ostern nach Leipzig in Condition zu bringen um seinen | |||||||
| Unterricht näher zu haben. sollte dies geschehen so will ich alles versuchen | |||||||
| um eine Nebenreise nach Koenigsberg zu bewerkstelligen, um | |||||||
| den Gründer meines höhern Glücks, mit den innigsten Wonne= und | |||||||
| Danckgefühl zärtlich umarmen zu können und Ihn mein Herz bis ins | |||||||
| Innerste zu öfnen, O diese wenigen glücklichen Tage sollen mir unvergeßlich | |||||||
| sein, gern will ich Ihnen alle meine Fehler entdecken, gern | |||||||
| alle meine Vergehen gestehen, und o! welche erhabne Wonne für mich, | |||||||
| mit so einen Manne vertrauten Umgang zu haben, aber auch jezt will | |||||||
| ich Ihnen meinen Charackter und Temperament so gut ich kann und | |||||||
| so viel ich mich selbst zu kennen glaube schildern und Ihnen bitten | |||||||
| mir Ihren weisen Rath mitzutheilen um meine Fehler verbeßern zu | |||||||
| können. Ich scheine mir von Natur empfindsam, allein durch den | |||||||
| Umgang mit der Welt ist diese Empfindsamkeit fast ganz verschwunden, | |||||||
| und nur dann und wann fühle ich es noch daß ich von Natur ohnmöglich | |||||||
| so unempfindsam seyn kann als ich mich finde. Ich haße den | |||||||
| Umgang mit gewöhnlichen Menschen und wünsche mir nur verdraute | |||||||
| Freunde oder die Einsamkeit die Freundin des Weisen und des Denkers | |||||||
| ich suche dieselbe auf, will dann anfangen über erhabne Gegenstände | |||||||
| und über mich selbst nachzudencken und finde mich dennoch gleichsam | |||||||
| so für mich selbst verschloßen, daß ich ohnmöglich eines erhabnen Gedankens | |||||||
| fahig bin, ich will mich dazu zwingen, und um desto verstockter | |||||||
| bin ich, und kehre dann unzufrieden und traurig zurück. Ich nehme | |||||||
| mir jezt fest vor tugendhaft zu seyn und mich zu besiegen, und in der | |||||||
| andern Minute begehe ich eine Thorheit wozu mich mein Leichtsinn | |||||||
| verleitet, ich will menschenfreundlich seyn, alle Beleidigungen mit Edelmuth | |||||||
| ertragen, und in der andern Minute mißhandle ich den mir untergebnen | |||||||
| Burschen oft wegen einer geringen Vergehung, besonders aber | |||||||
| ist Leichtsinn einer meiner größten Fehler, und verleitet mich oft zu | |||||||
| Vergehungen welche ich zu einer andern Zeit bitter bereue, ich lese | |||||||
| moralische Bücher weil sie mir nüzlich sind, fühle und begreife aber | |||||||
| davon fast gar nichts. O! ich bitte Ihnen, theilen Sie mir Ihren | |||||||
| weisen Rath mit wie ich es anfangen soll meinen Verstand, Ideen, | |||||||
| und Empfindungen zu verfeinern, bringen Sie mir reine Begriffe von | |||||||
| Gott und der natürlichen Religion bey, und nehmen Sie die innigste | |||||||
| Versicherung, daß kein Wort bey mir verlohren gehen soll und da | |||||||
| mir alles tief! tief! ins Herz geprägt seyn soll, ob ich gleich schon so | |||||||
| manche herrliche Lehre und Moral mit Kälte über die ich mich selbst | |||||||
| wundere laß; so soll doch von den Ihrigen jedes Wort bis ins innerste | |||||||
| meines Herzens würken, tief! sollen Sie in meinen Herzen wohnen | |||||||
| und der mir über alles theure Nahme Kant, wird mir noch in spätesten | |||||||
| Alter, unvergeßlich und ehrwürdig seyn, o! Verehrungswürdigster | |||||||
| Greis! beglücken Sie immer einen unerfahrnen jungen Menschen mit | |||||||
| Ihren weisen Rath, allein sollten Sie Ihn deßen nicht würdig achten, | |||||||
| o! so bitte ich Sie um alles würdigen Sie denselben nur einer abschläglichen | |||||||
| Antwort, damit er überzeugt wird ob er fähig ist zu jenen | |||||||
| erhabnen Ziele zu gelangen oder nicht. Nochmals bitte ich Ihnen | |||||||
| mir dieses Unternehmen zu verzeihen, und mir zu erlauben daß ich | |||||||
| mich mit der süßesten Hofnung der Gewährung meiner Bitte mit | |||||||
| innigster Liebe und Ehrerbietung nennen darf | |||||||
| Ihren | |||||||
| Sie unaussprechlich liebenden | |||||||
| Verehrer | |||||||
| Iustus Willhelm Christian | |||||||
| Fischer. | |||||||
| [Spätere Nachschrift.] | |||||||
| Verehrungs | |||||||
| würdigster. | |||||||
| Noch einmal unterstehe ich mich, noch einmal wage ich es, Ihnen | |||||||
| den Brief zu überschicken den ich mit den Worten! er scheint mich | |||||||
| nicht zu interreßiren, zurück erhielt, hätten Sie den Inhalt gewußt, | |||||||
| und mir dennoch diese Worte geschrieben, so wär dies ein Donnerschlag | |||||||
| für mich gewesen, aber nein, den edelsten biedersten Weisen sollte das | |||||||
| Wohl eines jungen Menschen nicht interreßiren? dies ist nicht möglich. | |||||||
| So traurig auch Ihre kurze Antwort für mich war, so hat sie mich | |||||||
| doch in gewißen Betracht erfreut. Denn dieselbe zeigte mir daß Sie | |||||||
| noch am Leben wären, welches ich vorher nicht gewiß wußte. noch | |||||||
| einmal die innigste Bitte! würdigen Sie mich nur wenigstens einer | |||||||
| versiegelten Antwort, oder sollte mich wirklich das traurigste Loos | |||||||
| Ihrer Verachtung treffen so würdigen Sie mich nur wenigstens einer | |||||||
| abschläglichen Antwort von 2 Worten, doch dies läßt mich ihre große | |||||||
| Weisheit nicht hoffen, nehmen Sie aber auch die innigste Versicherung | |||||||
| von mir daß auch dieselbe mich nicht abschrecken wird, ich muß Ihr | |||||||
| edles Herz für mich gewinnen, und sollte es mich das Wohl meines | |||||||
| ganzen Lebens kosten, so will ich dennoch mich glücklich schäzen, wenn | |||||||
| ich zu mir selbst sagen kann, Kant hält Dich seiner Liebe werth. | |||||||
| [ abgedruckt in : AA XII, Seite 129 ] [ Brief 725 ] [ Brief 726a ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |
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