Kant: Briefwechsel, Brief 720, Von Gottlieb Benjamin Iäsche. |
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| Von Gottlieb Benjamin Iäsche. | |||||||
| Waldegalen | |||||||
| in Curland | |||||||
| den 4ten Novbr 1796 | |||||||
| Wohlgeborner Herr, | |||||||
| Verehrungswürdigster Herr Profeßor! | |||||||
| Erlauben Sie, Verehrungswürdigster Lehrer! deßen schriftlichen | |||||||
| und mündlichen Unterrichte in der Philosophie ich den schönsten und | |||||||
| sichersten Theil meiner wissenschaftlichen Bildung verdanke, erlauben | |||||||
| Sie, daß ich Ihnen hiermit ein Exemplar des kleinen neuesten Produkts | |||||||
| ehrfurchtsvoll überreichen dürfe, das ich in Gemeinschaft mit | |||||||
| einem meiner hiesigen gelehrten Freunde so eben dem Publikum übergeben | |||||||
| habe. | |||||||
| So unbedeutend in mehr als einer Rücksicht unser Versuch eines | |||||||
| moral: Catechismus an sich selbst, und so klein insbesondere der Antheil, | |||||||
| den ich für meine eigene Person daran habe, auch seyn mag: so | |||||||
| habe ich doch geglaubt, Ewr. Wohlgeboren durch Ueberreichung desselben | |||||||
| einen obgleich nur geringen Beweis von den Gesinnungen dankbarer | |||||||
| Ergebenheit, Hochachtung und Ehrfurcht geben zu können, zu denen | |||||||
| Sie so sehr und auf immer mich verpflichtet haben. Denn auch ich | |||||||
| fühle den Stolz und das Glück zur Zahl Ihrer Schüler mich rechnen | |||||||
| zu dürfen; und gern benutze ich daher diese Gelegenheit, um Ihnen, | |||||||
| würdiger und verdienstvoller Lehrer der Menschheit! hier wiederholentlich | |||||||
| zu sagen: wie viel auch ich Ihnen verdanke und welchen heilsamen | |||||||
| Einfluß das Studium Ihrer preißwürdigen Philosophie auf die Befriedigung | |||||||
| der edelsten Forderungen und Bedürfniße meines Kopfes | |||||||
| und Herzens bis jetzt bereits gehabt hat. | |||||||
| Mit vorzüglich lebhaftem Dank= und Freudegefühl denke ich insonderheit | |||||||
| oft noch an jene schöne Periode meines Lebens zurück, in | |||||||
| welcher ich während meines Aufenthaltes zu Königsberg Ihres persönlichen | |||||||
| Privat= und öffentlichen Unterrichts von Zeit zu Zeit genießen | |||||||
| konnte. Und ich freue mich nun, daß ich durch Ihre Belehrungen in | |||||||
| der Philosophie in den Stand gesetzt worden bin, zu Verbreitung und | |||||||
| Popularisirung moralischer Vernunfterkenntniß, an meinem Theile doch | |||||||
| auch etwas, wenn auch an sich noch so wenig, beyzutragen. - Unser | |||||||
| Versuch eines popularen Lehrbuchs der Rechts= und Pflichtenlehre wird | |||||||
| sich daher, wie ich hoffe, Ihrer Achtung empfelen können, da mich zu | |||||||
| Herausgabe desselben die Absicht bestimmt hat, auch dadurch ächte | |||||||
| moralische Cultur bey einem Theile unserer Iugend zu befördern. Ob | |||||||
| die Auswahl des Innhalts, ob zugleich die Form der Darstellung dem | |||||||
| vor Augen gehabten Zwecke entspreche; das muß ich Ihrem Kennerurtheile | |||||||
| überlaßen. Wenigstens glaube ich dem von meinem Freunde | |||||||
| ausgearbeiteten Theile das Verdienst einer popularen und doch unverfälschten | |||||||
| Darstellung zu eignen zu dürfen. | |||||||
| Ich für mein Theil muß es jetzt sehr bedauern, daß ich bey Verzeichnung | |||||||
| meines kurzen, popularen Grundrißes der Rechtslehre Ihre | |||||||
| so eben erschienenen Metaphys. Anfangsgründe der Rechtslehre | |||||||
| nicht habe benutzen können. Wie viel würde dadurch mein eigener | |||||||
| Abriß noch gewonnen haben! Doch vielleicht wird er auch in der | |||||||
| unvollkommenen Gestalt, die ich ihm zu geben vermogte, nicht ganz | |||||||
| seines Zweckes verfehlen. | |||||||
| Erlauben Sie mir nun noch, Verehrungswürdigster Herr Profeßor! | |||||||
| daß ich in einer literarischen Angelegenheit eine Bitte an Sie wagen | |||||||
| dürfe. Mein Gesuch betrift den Wunsch: über eine schriftstellerische | |||||||
| Arbeit, die ich gegenwärtig unter den Händen habe, im Allgemeinen | |||||||
| Ihr Urtheil zu vernehmen und von Ihnen zu wißen, ob ein Encyklopädisches | |||||||
| Lehrbuch nach dem von mir verzeichneten Stammbaum der | |||||||
| gesammten Wissenschaften für die wißenschaftl. Cultur überhaupt vortheilhaft | |||||||
| seyn könne? - Den Plan zu einem solchen Werke werden | |||||||
| Ewr Wohlgeboren in einer Abhandlung finden, welche durch die Besorgung | |||||||
| der Herrn Profeßoren Schmid und Niethammer in Iena in | |||||||
| das IVte Heft des Nieth. Philosoph. Iournals im vorigen Iahre ist | |||||||
| eingerückt worden. | |||||||
| Im Ganzen und selbst in einigen einzelnen Theilen bleibe ich | |||||||
| jenem verzeichneten Plane in der Ausführung getreu, in verschiedenen | |||||||
| andern Stücken hingegen weiche ich jetzt davon ab, nemlich bey Darstellung | |||||||
| der reinen theoretischen Philosophie; weil mich ein anhaltendes | |||||||
| geschärfteres Nachdenken immer deutlicher zu überzeugen scheint, da | |||||||
| die neuen Wege, die gewiße übrigens scharfsinnige und verdienstvolle | |||||||
| Philosophen des Tages unter Leitung vorgeschlagener erster Principien | |||||||
| alles Philosoph. Wißens im Gebiete der reinen Philosophie bis jetzt | |||||||
| eingeschlagen haben, weder leicht und sicher noch überall dem Geiste | |||||||
| des kritischen Philosophirens angemessen genug sind. Ich für mein | |||||||
| Theil halte immer noch, bis ich eines beßern überführt werde, den | |||||||
| Standpunkt, den neuerlich Hr. M. Beck und Andere seiner spekulativen | |||||||
| Denkart, dem gesammten kritischen Philosophiren angewiesen, für den | |||||||
| richtigsten und sichersten. Indessen bescheide ich mich gern im Bewustseyn | |||||||
| meines Unvermögens kein kategorisches Urtheil über einen so | |||||||
| schwürigen Punkt fällen zu können. - Vielleicht bin ich einmal so | |||||||
| glücklich, Ihr entscheidenderes Urtheil hierüber auf irgend einem Wege | |||||||
| zu erhalten, ohne jedoch durch meine Zudringlichkeit Ihrer für die | |||||||
| Wißenschaft so wichtigen philosophischen Muse einen nöthigen Theil | |||||||
| der Zeit entziehen zu dürfen. | |||||||
| Mögte doch der gute Genius, der über der Beförderung der | |||||||
| Zwecke und Angelegenheiten der Menschheit waltet, auch insbesondere | |||||||
| über der Erhaltung Ihres Lebens und Ihrer gemeinnutzigen, unermüdeten | |||||||
| Thätigkeit, Würdiger und Verdienstvoller Greiß! so | |||||||
| wachen, daß Sie selbst lange noch so manche Früchte Ihres erhabenen | |||||||
| Verdienstes um das Heil der Wißenschaft und der Menschheit überhaupt | |||||||
| in dem Kreiße Ihrer Mitbürger sehen und genießen können. | |||||||
| Mit diesem weltbürgerlichen Wunsche empfielt sich auf das ehrfurchtsvolleste | |||||||
| Ihrer Gewogenheit und Ihrem Wohlwollen | |||||||
| Ewr. Wohlgeboren | |||||||
| dankbarer Verehrer u. Schüler | |||||||
| G. Benj. Iähsche | |||||||
| [ abgedruckt in : AA XII, Seite 105 ] [ Brief 719 ] [ Brief 720a ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |
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