| Kant: Briefwechsel, Brief 313, An Carl Leonhard Reinhold. | |||||||
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| An Carl Leonhard Reinhold. | |||||||
| 28. u. 31. Dec. 1787. | |||||||
| Ich habe vortreflicher liebenswürdiger Mann die schöne Briefe | |||||||
| gelesen womit Sie meine Philosophie beehrt haben und die an mit | |||||||
| Gründlichkeit verbundener Anmuth nichts übertreffen kan die auch | |||||||
| nicht ermangelt haben in unserer Gegend alle erwünschte Wirkung zu | |||||||
| thun. Desto mehr habe ich gewünscht die genaue Ubereinkunft Ihrer | |||||||
| Ideen mit den meinigen und zugleich meinen Dank für das Verdienst | |||||||
| welches sie um deren Erleichterung haben in irgend einem Blatte | |||||||
| vornehmlich dem deutschen Merkur wenigstens mit einigen Zeilen bekannt | |||||||
| zu machen. Allein ein Aufsatz in eben derselben Zeitschrift vom | |||||||
| jüngeren Hr. Forster der gegen mich obzwar in einer anderen Materie gerichtet | |||||||
| war lies es nicht wohl zu es auf eine andere Art zu thun als so | |||||||
| daß beyderley Absicht zugleich erreicht würde. Zu der letzteren nämlich | |||||||
| meine Hypothese gegen Hr. F. zu erläutern konnte ich nun theils wegen | |||||||
| meiner Amtsarbeiten theils der ofteren Unpäslichkeiten, die dem Alter | |||||||
| ankleben immer nicht gelangen und so hat sich die Sache bis jetzt verzögert | |||||||
| da ich mir die Freyheit nehme beykommenden Aufsatz zuzusenden | |||||||
| mit der Bitte ihm einen Platz im beliebten deutschen Merkur auszuwirken. | |||||||
| Ich bin sehr erfreut gewesen mit Gewisheit endlich zu erfahren | |||||||
| daß Sie der Verfasser jener herrlichen Briefe seyn. In der Ungewisheit | |||||||
| konnte ich dem Buchdrucker Grunert in Halle dem ich aufgab, | |||||||
| Ihnen ein Exemplar meiner Critik der practischen Vernunft | |||||||
| als ein kleines Merkmal meiner Achtung zuzuschicken keine gnug bestimmte | |||||||
| Addresse geben daher er mir antwortete er habe es meiner | |||||||
| Anzeige nach nicht zu bestellen gewußt. | |||||||
| Auf innliegenden Brief den ich für ihn auf die Post zu geben | |||||||
| bitte wird er es noch thun wenn die Exemplare noch bey ihm liegen. | |||||||
| In diesem Büchchen werden viele Wiedersprüche welche die Anhänger | |||||||
| am Alten in meiner Critik zu finden vermeynen hinreichend gehoben, | |||||||
| dagegen diejenige darinn sie sich selbst unvermeidlich verwickeln wenn | |||||||
| ihr altes Flickwerk nicht aufgeben wollen, klar gnug vor Augen gestellt. | |||||||
| Fahren Sie in Ihrer neuen Bahn muthig fort, theurer Mann, | |||||||
| Ihnen kan nicht Uberlegenheit in Talent und Einsicht sondern nur | |||||||
| Misgunst entgegen seyn über die man allemal siegt. | |||||||
| Ich darf ohne mich des Eigendünkels schuldig zu machen, wohl | |||||||
| versichern daß je länger ich auf meiner Bahn fortgehe desto unbesorgter | |||||||
| ich werde es könne jemals ein Wiederspruch oder so gar Alliance (dergleichen | |||||||
| jetzt nicht ungewöhnlich ist) meinem System erheblichen Abbruch | |||||||
| thun. Dies ist eine innigliche Uberzeugung die mir daher erwächst, | |||||||
| daß ich im Fortgange zu anderen Unternehmungen nicht allein es | |||||||
| immer mit sich selbst stimmig befinde, sondern auch wenn ich bisweilen | |||||||
| die Methode der Untersuchung über einen gewissen Gegenstand nicht | |||||||
| recht anzustellen weiß, nur nach jener allgemeinen Vorzeich[n]ung der | |||||||
| Elemente der Erkentnis und der dazu gehorigen Gemüthskräfte zurük | |||||||
| sehen darf um Aufschlüsse zu bekommen deren ich nicht gewärtig war. | |||||||
| So beschäftige ich mich jetzt mit der Critik des Geschmaks bey welcher | |||||||
| Gelegenheit eine neue Art von Principien a priori entdeckt wird als | |||||||
| die bisherigen. Denn der Vermögen des Gemüths sind drey: Erkentnisvermögen | |||||||
| Gefühl der Lust und Unlust und Begehrungsvermögen. für | |||||||
| das erste habe ich in der Critik der reinen (theoretischen) für das | |||||||
| dritte in der Critik der practischen Vernunft Principien a priori gefunden. | |||||||
| Ich suchte sie auch für das zweyte und ob ich es zwar sonst | |||||||
| für unmöglich hielt, dergleichen zu finden, so brachte das Systematische | |||||||
| was die Zergliederung der vorher betrachteten Vermögen mir im | |||||||
| menschlichen Gemüthe hatten entdecken lassen und welches zu bewundern | |||||||
| und wo möglich zu ergründen mir noch Stoff gnug für den Uberrest | |||||||
| meines Lebens an die Hand geben wird mich doch auf diesen Weg | |||||||
| so daß ich jetzt drey Theile der Philosophie erkenne deren jede ihre | |||||||
| Principien a priori hat die man abzählen und den Umfang der | |||||||
| auf solche Art moglichen Erkentnis sicher bestimmen kan - theoretische | |||||||
| Philosophie Teleologie und practische Philosophie von denen freylich | |||||||
| die mittlere als die ärmste an Bestimmungsgründen a priori befunden | |||||||
| wird. Ich hoffe gegen Ostern mit dieser unter dem Titel der Critik | |||||||
| des Geschmaks ein Mscpt. obgleich nicht im Drucke fertig zu seyn. | |||||||
| Ihrem verehrungswürdigen Hrn. Schwiegervater bitte neben der | |||||||
| größten Empfehlung zugleich meinen innigsten Dank für das mannigfaltige | |||||||
| Vergnügen zu sagen daß mir seine unnachahmliche Schriften | |||||||
| gemacht haben. | |||||||
| Wenn es Ihre Zeit erlaubt, darf ich denn wohl bitten mir bisweilen | |||||||
| einige Neuigkeiten aus der Gelehrten Welt von der wir hier | |||||||
| ziemlich entfernet wohnen zu berichten. Diese hat so gut ihre Kriege | |||||||
| ihre Alliancen ihre geheime Intriguen etc als die politische. Ich kan | |||||||
| und mag zwar dies Spiel nicht mit machen, allein es unterhält doch | |||||||
| und giebt bisweilen eine nützliche Richtung davon etwas zu wissen. | |||||||
| Und nun wünsche ich herzlich daß der Empfang dieses Briefes | |||||||
| diejenige Neigung und Freundschaft gegen mich in Ihnen wirke als | |||||||
| die von der Vortreflichkeit des Talents so wohl als Herzens zeugende | |||||||
| Briefe womit sie mich so sehr als das Publicum verpflichteten auch unbekannt | |||||||
| in mir gewirkt haben und bin mit der vollkommensten Hochachtung | |||||||
| Ew Wohlgebohren | |||||||
| Koenigsberg | gantz ergebenster treuer Diener | ||||||
| den 28 Decembr. | I Kant | ||||||
| 1787. | |||||||
| N. S. So weit war obstehender Brief, als durch unvermuthete | |||||||
| Hindernisse die Post versä[u]mt wurde. Die Zwischenzeit habe dazu | |||||||
| genutzt um einige Einschaltungen und Noten unter dem Text welche | |||||||
| mir nöthig schienen der beyliegenden Abhandlung beyzufügen. Es | |||||||
| wird einen guten sachverständigen Corrector bedürfen um vornehmlich | |||||||
| in den Bogen 6 und 7 den Zusammenhang wo die signaturen | |||||||
| hinweisen nicht zu verfehlen. Wegen eines solchen bitte ergebenst | |||||||
| Erinnerung zu thun; imgleichen wenn das Stück aus der | |||||||
| Presse kommt es mir mit der fahrenden Post gütigst zuzuschicken. | |||||||
| Ich glaube doch nicht, Hr. Hofrath Wieland werde Bedenken finden, | |||||||
| dieses Stück als etwas Polemisches, in seinem Merkur aufzunehmen. | |||||||
| Ich habe mich sorgfältig gehütet einen solchen Ton der überhaupt | |||||||
| mir nicht natürlich ist hiebey anzunehmen und nur Misverständnisse | |||||||
| durch Erläuterungen zu heben gesucht. den 31 sten Decembr. IK. | |||||||
| Beyliegenden Brief an Hrn Prof. Schütz bitte ergebenst | |||||||
| abgeben zu lassen. | |||||||
| [ abgedruckt in : AA X, Seite 513 ] [ Brief 312b ] [ Brief 314 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] | |||||||