| Kant: Briefwechsel, Brief 287, Von Friedrich Victor Leberecht Plessing. | |||||||
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| Von Friedrich Victor Leberecht Plessing. | |||||||
| 16. Ian. 1787. | |||||||
| Ich schmeichle mir, noch immer im Andenken bei Ew Wohlgeb. | |||||||
| zu stehn, ohnerachtet Dero bisherigen langen Stillschweigens. Doch | |||||||
| ich weiß aus eigner Erfahrung, wie sehr bei einem Leben von anhaltenden | |||||||
| Geschäften, Briefschreiben erschweret werden kann. | |||||||
| Endlich habe ich mich näher zu dem vorgesezten Ziele hingekämpft. | |||||||
| Mein Bestreben ging dahin, das Alterthum mehr zu berichtigen; besonders | |||||||
| die Theologie und Philosophie aus den frühern Zeiten deßelben, | |||||||
| worüber Neuerlich (besonders von Meiners) so manches Unwahre und | |||||||
| Verkehrte geschwazt worden ist. Hiedurch wurde ich zugleich auf die | |||||||
| Untersuchung über den Ursprung der bürgerlichen Gesellschaft geführet. | |||||||
| Die beikommenden Schriften, welche ich mir die Ehre gebe Ew Wohlgeb. | |||||||
| zu übersenden, enthalten den Anfang eines Gebäudes, das durch | |||||||
| die Fortsezzung des Memnonium, welches diese Ostern, und durch ein | |||||||
| Werk über die ältere griechische Philosophie, welches künftige Michaelis | |||||||
| erscheinet, vollendet werden wird. | |||||||
| Die ältere Philosophie bestand in den frühern Zeiten aus lauter | |||||||
| Metaphysik; allein aus Metaphysik in anderm Verstande, als sie neuerlich | |||||||
| gewöhnlich genommen worden ist. Ihre Metaphysik, kann nicht | |||||||
| die unsrige seyn: sie bauten selbige auf ganz andre Gründe, wie wir. | |||||||
| Platos System, war die metaphysische Philosophie, welche schon Iahrtausende | |||||||
| vor seinem Zeitalter geblüht hatte; dieses werde ich künftig | |||||||
| durch unverwerfliche historische Urkunden belegen. | |||||||
| Befremden wird mein hartes Urtheil über den Aristoteles; allein | |||||||
| ich konnte meine durch mühsames Studium dieses Schriftstellers herausgebrachte | |||||||
| anschauende Überzeugung nicht zurükhalten. In meinen | |||||||
| Werk über die ältere Griechische Philosophie, werde ich alles was ich | |||||||
| noch nicht ganz erwiesen habe, bündig dokumentiren, und besonders | |||||||
| sein arglistiges Verfahren, in Darstellung der Systeme der ältern | |||||||
| Philosophen, ins rechte Licht sezzen. | |||||||
| Ich hoffe, daß Ew Wohlgeb. den muthwilligen und in der That | |||||||
| böses Herz verrathenden Anfall, den Meiners neulig auf Sie gewagt, | |||||||
| nachdrüklich ahnden werden. Dieser Schriftsteller weiß seinen unbesonnenen | |||||||
| Urtheilen gar keine Schranken mehr zu sezzen: wie hat er | |||||||
| uns nicht schon mit seinen seichten und verkehrten Raisonnements über | |||||||
| das Alterthum überschwemmt; dies leztere werden meine künftigen | |||||||
| Schriften in hinlängliches Licht sezzen. Wie sehr ist dieser Mann | |||||||
| noch dadurch bei mir gesunken, daß er Ihre Schriften als der Religion | |||||||
| und Moral gefärlich darstellt, und auf diese Weise, um alle die, welche | |||||||
| unter das Volk gerechnet werden müßen, gegen Sie einzunehmen, sich | |||||||
| des eben so niedrigen als boshaften Kunstgrifs bedient, den alle Bonzen | |||||||
| und Inquisitions=Tribunäle zu ähnlichen Absichten immer zu brauchen | |||||||
| pflegten. | |||||||
| Nie habe ich Dero Güte und die Schuld, in welche ich durch sie | |||||||
| bei Ihnen gekommen vergeßen: Ich bitte Ew Wohlgeb., deswegen | |||||||
| noch einige Zeit mit mir Geduld zu haben. Meine Eltern sind nicht | |||||||
| im stande, mich unmittelbar durch Geld zu unterstüzzen; ich muß daher | |||||||
| alle die Ausgaben, die mir meine Lage und mein Studieren (: zu | |||||||
| dem ich mir so viele Bücher anschaffen müßen :) nothwendig machen, | |||||||
| durch mich selbst bestreiten. Überdem hat mir das besondere Schiksaal | |||||||
| meines Mscpts ehe es gedrukt worden, große Kosten verursacht: ich | |||||||
| gerieth in Verwikkelungen mit einigen Buchhändlern, welches mich | |||||||
| nöthigte einige entfernte Reisen zu thun, und unter andern vergangenes | |||||||
| Frühjahr nach Leipzig zu reisen. Ich habe daher durch das Verdienst | |||||||
| für mein Memnonium, (: welches äußerst gering ist, und für die beiden | |||||||
| Abhandlungen in Cäsars Denkwürdigkeiten, habe ich gar nichts gekriegt :), | |||||||
| noch bei weiten nicht aus meinen Schulden kommen können. | |||||||
| Ich hoffe also, bei Ihnen in guter Meinung nicht zu verliehren, da | |||||||
| ich mich dieser Pflicht gegen Sie noch nicht entledige. | |||||||
| Ich habe izt einige günstigere Aussichten: vieleicht nimmt mein | |||||||
| Schiksall bald eine andre Wendung. | |||||||
| Ich habe unter mancherlei Mühseeligkeiten und Leiden mein | |||||||
| studieren hier fortsezzen müßen. So hat mir mein AugenÜbel große | |||||||
| Noth gemacht, und ich bin noch nicht davon befreit. Krankheiten | |||||||
| haben in unserer Familie beinahe nicht aufgehört. Im vergangenen | |||||||
| Winter war unser Haus fünf Monathe lang ein Krankenlager, mein | |||||||
| Vater, Mutter und Schwester wurden auf daßelbe niedergeworfen. | |||||||
| Diesen Winter ist mein lieber Vater wieder schon seit Anfang Novembers | |||||||
| an der Gicht im Kopfe krank, und noch keine Beßerung da. | |||||||
| Bei allen dergleichen traurigen Zufällen, habe ich mich mit Gewalt | |||||||
| aufarbeiten müßen, um die nöthige Stärke zu meinen Arbeiten zusammen | |||||||
| zu halten. In Absicht der Freuden, ist das menschliche Leben | |||||||
| nichts als Täuschung. | |||||||
| Leben Sie wohl, verehrungswürdiger Mann! gönnen Sie mir | |||||||
| Ihre fernere Freundschaft und Gewogenheit. Mit den innigsten Wünschen | |||||||
| des Herzens für einen Mann, an deßen Leben alle Edle theil | |||||||
| nehmen, und mit größter Verehrung und Hochachtung bin ich | |||||||
| Ew Wohlgeb. | |||||||
| Wernigerode | gehorsamster Diener | ||||||
| den 16 Ian. 87. | Pleßing | ||||||
| Zu Anfang des Oktobers im vorigen Iahr, kam der Iude Elkana, | |||||||
| der ehemals in Königsberg studirte, zu mir: Er war in den kläglichsten | |||||||
| Umständen, nichts Ganzes auf seinem Leibe und voller Ungeziefer. | |||||||
| Seiner Erzählung nach, kam er aus England, und war vorher in | |||||||
| Rusland und Dännemark gewesen: Verfolgungen der Iuden hätten | |||||||
| ihn aus Königsberg getrieben. Ich habe mich in seine Erzählungen | |||||||
| nicht finden können, am wenigsten in die, welche er mir über das | |||||||
| außerordentliche seiner Geburt - die Christlich seyn und von sehr | |||||||
| hohen Personen herrühren soll - abgestattet: dergleichen Dinge habe | |||||||
| ich nun freilig nicht glauben können. Er hat mir gesagt, daß Ew | |||||||
| Wohlgeb. die Ursachen seines Weggehens aus Königsberg und seine | |||||||
| Wanderschaft wüßten, wie auch HE Hoffprediger Schulz. Ich sahe | |||||||
| mich nicht im stande über diesen Mann zu urtheilen, und nahm blos | |||||||
| auf seine gegenwärtige Lage Rüksicht, in welcher er, blos als Mensch, | |||||||
| das höchste Mitleiden verdiente. Ich unterhielt ihn hier verschiedene | |||||||
| Tage im Wirthshause bei beßerer Pflege, brachte bei einigen Bekannten | |||||||
| 12 Thaler zusammen, und gab ihm einige Hemden, noch gut konditionirten | |||||||
| Rok, Beinkleider, Strümpfe, Hut, Schuhe, kurz, daß er sich | |||||||
| ganz anders kleiden und seine alten Lumpen wegwerfen konnte: noch | |||||||
| einige Freunde hatten mir hiezu hülfreiche Hand geleistet. Seitdem | |||||||
| habe ich nichts wieder von dem Elkana gehört. Ich bitte Ew. | |||||||
| Wohlgeb. mir doch zu melden, ob Einiges von dem gegründet ist, was | |||||||
| er mir als Dinge erzählt, die Ihnen bewußt wären. | |||||||
| Ew Wohlgeb. werden die Güte haben, Einliegendes an HE Brahl | |||||||
| zu überschikken. | |||||||
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