| Kant: Briefwechsel, Brief 189, Von Iohann Gottlieb Schummel. | |||||||
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| Von Iohann Gottlieb Schummel. | |||||||
| Ligniz, 21 Merz, 1783. | |||||||
| Wolgeborner, | |||||||
| Höchstzuverehrender Herr, | |||||||
| Eben kommt mir da ein junger Mann in den Wurf, der zu Ihnen | |||||||
| nach Königsberg reist, und so kan ich nicht unterlaßen, Sie nach so | |||||||
| langer Zeit wieder einmal von meiner aufrichtigsten Hochachtung und | |||||||
| wärmsten Zuneigung zu versichern, mit dem Wunsche, daß mein | |||||||
| Briefchen Sie so glücklich und zufrieden antreffen möge, als es in | |||||||
| dieser sublunarischen Welt möglich ist. Daß ich seit nunmehr 4 Iahren | |||||||
| Magdeburg mit Ligniz verwechselt und an der hiesigen Ritter=Academie | |||||||
| Profeßor der Geschichte bin, wißen Sie vielleicht schon! Ich habe sehr | |||||||
| Ursach, meinem Beförderer und Landsmann dem Minister Zedliz in | |||||||
| Berlin dankbar zu seyn: Denn mein Posten giebt mir nicht nur satt | |||||||
| Brod, sondern auch hinlängliche Muße, mich nach und nach in meinem | |||||||
| Fache festzusetzen, um etwan einmal einer Universität meine Kräfte | |||||||
| zu widmen. Außerdem hab ich das Glück, an einem Sohne des großen | |||||||
| Iohann Gottlieb Heineccius, an dem Ihnen gewiß wohlbekannten Profeßor | |||||||
| Flögel, und an dem sanften Dichter und wahrhaft gelehrten | |||||||
| Belletristen Friedrich Schmitt drey Collegen und Freunde gefunden zu | |||||||
| haben, die ich für eins der kostbarsten Geschenke der Vorsehung erkennen | |||||||
| muß. Kurz ich würde ganz und gar von dem gemeinsamen | |||||||
| Schicksale der Sterblichen, von Schmerz und Trübsal nichts wißen, | |||||||
| wenn ich nicht vor wenig Wochen eine dahin einschlagende höchst bittre | |||||||
| Erfahrung gemacht hätte. Ich hatte mit meiner Frau, einer braven | |||||||
| Magdeburgerin, die mir, außer Iugend, Schönheit und Reichthum, die | |||||||
| sie mir nicht geben konnte, alle übrigen Eigenschaften zugebracht hat, | |||||||
| die einen Mann wesentlich glücklich machen können, einen einzigen | |||||||
| Sohn, Carl Eduard! Schon hatt er seinen vierten Geburtstag erreicht; | |||||||
| Gesundheit strozte auf seinen Wangen und ein sehr geschickter Arzt | |||||||
| Glossius sprach von seinem langen Leben als von einer unzweifelhaften | |||||||
| Sache; und alles Vater=Vorurtheil beiseit gesezt, welche Eltern | |||||||
| würden sich nicht glücklich geschäzt haben, solch einen Sohn zu haben, | |||||||
| der die liebenswürdigsten Anlagen des Herzens und des Kopfs verrieth | |||||||
| und überaus leicht zu entwickeln begann! Ach auf einmal, in Zeit | |||||||
| von 12 Tagen entriß uns der Tod diesen kleinen Engel; und was | |||||||
| noch mehr schmerzen muß, er ward das Opfer eines ungeschickten | |||||||
| Arztes, der in den ersten Tagen bloß palliative curirte, darüber die | |||||||
| Reinigung der ersten Wege versäumte, die sich späterhin nicht mehr | |||||||
| nachholen ließ, so daß zulezt der Schlag im Magen und bald darauf | |||||||
| im Gehirn erfolgte. Diese Erschütterung meines ganzen Wesens hat in | |||||||
| mir eine gänzliche Revolution gewirkt! Da liegen sie, die mancherley | |||||||
| gelehrten Entwürfe, die ich gemacht hatte, um dem Publico zu zeigen, da | |||||||
| es mir gegenwärtig mit der Geschichte ein Ernst sei. Das Grab | |||||||
| meines Kindes predigt mir bloß mein eignes Grab, und dürft ich doch | |||||||
| nie, außer meinen Stand= und Berufsgeschäften, irgend etwas anders | |||||||
| vornehmen, als das Studium recht zu sterben! Doch wozu erzähl ich | |||||||
| Ihnen wohl alles das? Lediglich in der Voraussetzung, daß wenn | |||||||
| ich auch nie die Ehre Ihres Briefwechsels genoßen hätte, Sie dennoch | |||||||
| an dem Schicksale eines Menschen Antheil nehmen würden. Und wer | |||||||
| weiß, welcher dem Publico unbekannte Kummer auch Sie drückt? | |||||||
| Nun dann, solamen est miseris socios habuisse malorum . | |||||||
| Ihre Universität erhält diesmal einen ansehnlichen Zuwachs aus | |||||||
| Schlesien. Möchten sie auch nur recht zubereitet zu Ihnen kommen: | |||||||
| Allein die Beschaffenheit unsrer Schulen ist noch ganz und gar nicht | |||||||
| darnach! Wir vollends an unsrer Ritter=Academie bekommen mehrentheils | |||||||
| lauter ungeformte, oder wohl gar mißgeformte Blöcke! Deßhalb | |||||||
| hat auch der König kürzlich an den schlesischen Adel ein scharfes Circulare | |||||||
| ergehen laßen, worinn er ihnen ihre elende Privat=Erziehung | |||||||
| nachdrüklich vorhält und künftig über ihre Kinder ordentlich Buch und | |||||||
| Rechnung halten laßen will. Auch das würd ich zu meinem Unglück | |||||||
| rechnen, daß ich bei aller Anstrengung, bei allem Regen und Streben | |||||||
| nicht die Summe des Guten hervorbringen kan, die ich mir in einer | |||||||
| andern Lage zu bewirken getraute: Und doch, Gott setzte mich ja in | |||||||
| diesen Posten; So lang es ihm also recht ist, daß ich darinn bleiben | |||||||
| soll, warum sollt es mir nicht recht seyn? | |||||||
| Hiermit nehm ich von Ihnen Abschied mit der nochmaligen Versicherung | |||||||
| meiner vorzüglichsten Achtung. Wie sehr würd es mich freuen, | |||||||
| wenn Ihnen auch einmal eine solche Gelegenheit aufstieße, mich wißen | |||||||
| zu laßen, wie Sie leben und ob Sie so glücklich sind, als | |||||||
| es von ganzem Herzen wünscht | |||||||
| Ihr | |||||||
| aufrichtig ergebenster | |||||||
| Schummel | |||||||
| Pr. | |||||||
| [ abgedruckt in : AA X, Seite 305 ] [ Brief 188 ] [ Brief 189a ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] | |||||||