Kant: AA XX, Preisschrift über die ... , Seite 321 |
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| 01 | Abhandlung. |
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| 02 | Die Metaphysik zeichnet sich unter allen Wissenschaften dadurch ganz | ||||||
| 03 | besonders aus, daß sie die einzige ist, die ganz vollständig dargestellt werden | ||||||
| 04 | kann; so daß für die Nachkommenschaft nichts übrig bleibt hinzu zu setzen | ||||||
| 05 | und sie ihrem Inhalt nach zu erweitern, ja, daß, wenn sie nicht aus der | ||||||
| 06 | Idee derselben zugleich das absolute Ganze systematisch ergiebt, der Begriff | ||||||
| 07 | von ihr als nicht richtig gefaßt betrachtet werden kann. Die Ursache hievon | ||||||
| 08 | liegt darin, daß ihre Möglichkeit eine Kritik des ganzen reinen Vernunftvermögens | ||||||
| 09 | voraussetzt, wo, was dieses a priori in Ansehung der Gegenstände | ||||||
| 10 | möglicher Erfahrung, oder, welches (wie in der Folge gezeigt werden | ||||||
| 11 | wird) einerley ist, was es in Ansehung der Principien a priori der Möglichkeit | ||||||
| 12 | einer Erfahrung überhaupt, mithin zum Erkenntniß des Sinnlichen, | ||||||
| 13 | zu leisten vermag, völlig erschöpft werden kann; was sie aber in | ||||||
| 14 | Ansehung des Übersinnlichen, bloß durch die Natur der reinen Vernunft | ||||||
| 15 | genöthigt, vielleicht nur frägt, vielleicht aber auch erkennen mag, eben | ||||||
| 16 | durch die Beschaffenheit und Einheit dieses reinen Erkenntnißvermögens | ||||||
| 17 | genau angegeben werden kann und soll. Hieraus, und daß durch die Idee | ||||||
| 18 | einer Metaphysik zugleich a priori bestimmt wird, was in ihr alles anzutreffen | ||||||
| 19 | seyn kann und soll, und was ihren ganzen möglichen Inhalt ausmacht, | ||||||
| 20 | wird es nun möglich zu beurtheilen, wie das in ihr erworbene Erkenntniß | ||||||
| 21 | sich zu dem Ganzen, und der reelle Besitz zu einer Zeit, oder in einer | ||||||
| 22 | Nation, sich zu dem in jeder andern, imgleichen zu dem Mangel der | ||||||
| 23 | Erkenntniß, die man in ihr sucht, verhalte, und, da es in Ansehung des | ||||||
| 24 | Bedürfnisses der reinen Vernunft keinen Nationalunterschied geben kann, | ||||||
| 25 | an dem Beyspiele dessen, was in einem Volke geschehen, verfehlt oder | ||||||
| 26 | gelungen ist, zugleich der Mangel oder Fortschritt der Wissenschaft überhaupt | ||||||
| 27 | zu jeder Zeit und in jedem Volke nach einem sichern Maaßstabe | ||||||
| 28 | beurtheilt werden und so die Aufgabe als eine Frage an die Menschenvernunft | ||||||
| 29 | überhaupt aufgelöset werden kann. | ||||||
| 30 | Es ist also zwar bloß die Armuth und die Enge der Schranken, darin | ||||||
| 31 | diese Wissenschaft eingeschlossen ist, welche es möglich macht, sie in einem | ||||||
| 32 | kurzen Abrisse, und dennoch hinreichend zur Beurtheilung jedes wahren | ||||||
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