Kant: AA XX, Erste Einleitung in die Kritik der ... , Seite 238 |
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| 01 | ihnen das seltsame Phänomen des Geitzes, der im bloßen Besitze der | ||||||
| 02 | Mittel zum Wohlleben (oder jeder ansern Absicht), doch mit dem Vorsatze, | ||||||
| 03 | nie einen Gebrauch davon zu machen, einen absoluthen Werth setzt, | ||||||
| 04 | oder die Ehrbegierde, die diese im bloßen Rufe, ohne weitere Absicht | ||||||
| 05 | zu finden glaubt, zu erklären, damit sie ihre Vorschrift darnach richten | ||||||
| 06 | können, nicht der sittlichen Gesetze selbst, sondern der Wegräumung der | ||||||
| 07 | Hindernisse, die sich dem Einflusse derselben entgegensetzen; wobey man | ||||||
| 08 | doch gestehen muß, daß es mit psychologischen Erklärungen, im Vergleichung | ||||||
| 09 | mit den physischen, sehr kümmerlich bestellt sey, daß sie ohne | ||||||
| 10 | Ende hypothetisch sind und man zu drey verschiedenen Erklärungsgründen | ||||||
| 11 | gar leicht einen vierten, ebenso scheinbaren erdenken kann, und daß | ||||||
| 12 | daher eine Menge vorgeblicher Psychologen dieser Art, welche von jeder | ||||||
| 13 | Gemütsaffection oder Bewegung, die in Schauspielen, dichterischen | ||||||
| 14 | Vorstellungen und von Gegenständen der Natur erweckt wird, die Ursachen | ||||||
| 15 | anzugebn wissen, und diesen ihren Witz auch wohl Philisophie | ||||||
| 16 | nennen, die gewöhnlichste Naturbegebenheit in der körperlichen Welt | ||||||
| 17 | wissenschaftlich zu erklären, nicht allein keine Kenntniß, sondern auch | ||||||
| 18 | vielleicht nicht einmal die Fähigkeit dazu blicken lassen. Psychologisch | ||||||
| 19 | beobachten (wie Burke in seiner Schrift vom Schönen und Erhabenen), | ||||||
| 20 | mithin Stoff zu künftigen systematisch zu verbindenden Erfahrungsregeln | ||||||
| 21 | sammeln, ohne sie doch begreifen zu wollen, ist wohl die einzige wahre | ||||||
| 22 | Obliegenheit der empirischen Psychologie, welche schwerlich jemals auf den | ||||||
| 23 | Rang einer philosophischen Wissenschaft wird Anspruch machen können. | ||||||
| 24 | Wenn aber ein Urtheil sich selbst für allgemeingültig ausgiebt und | ||||||
| 25 | also auf Nothwendigkeit in seiner Behauptung Anspruch macht, mag | ||||||
| 26 | diese vorgegebene Nothwendigkeit auf Begriffen vom Objecte a priori, | ||||||
| 27 | oder auf subjectiven Bedingungen zu Begriffen, die a priori zum Grunde | ||||||
| 28 | liegen, beruhen, so wäre es, wenn man einem solchen Urtheile dergleichen | ||||||
| 29 | Anspruch zugesteht, ungereimt, ihn dadurch zu rechtfertigen, daß man | ||||||
| 30 | den Ursprung des Urtheils psychologisch erklärte. Denn man würde | ||||||
| 31 | dadurch seiner eigenenn Absicht entgegen handeln und wenn die versuchte | ||||||
| 32 | Erklärung vollkommen gelungen wäre, so würde sie beweisen, daß das | ||||||
| 33 | Urtheil auf Nothwendigkeit schlechterdings keinen Anspruch machen kann, | ||||||
| 34 | eben darum, weil man ihm seinen empirischen Ursprung nachweisen kann. | ||||||
| 35 | Nun sind die ästhetischen Reflexionsurtheile (welche wir künftig | ||||||
| 36 | unter dem Namen der Geschmacksurtheile zergliedern werden) von der | ||||||
| 02 Kein Komma vor: doch | |||||||
| 03 Kein Komma vor: nie | |||||||
| 09 den v.a. dem Kein Komma vor: sehr | |||||||
| 10 Komma hinter: Erklärungsgründen. | |||||||
| 21 Erste Fassung: ohne zu erklären sie — wollen, g.Z. am Rande (Kant). | |||||||
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