Kant: AA XIX, Erläuterungen zu A. G. Baumgartens ... , Seite 278 |
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| 01 | Es ist ein gewisser Hauptstuhl (Fonds, Grundstück) von Zufriedenheit | ||||||
| 02 | nothig, daran es niemand fehlen muß, und ohne welchen keine Glückseeligkeit | ||||||
| 03 | moglich ist, das ubrige sind accidentien (reditus fortuiti). Dieser | ||||||
| 04 | Hauptstuhl ist die Selbstzufriedenheit (gleichsam apperceptio iucunda | ||||||
| 05 | primitiva). Da er weder von Naturgeschenk noch von Glück und Zufall | ||||||
| 06 | abhängen muß, weil diese zu unsern wesentlichen und höchsten Zwecken | ||||||
| 07 | nicht von selbst zusammenstimmen müssen. Da die Zufriedenheit damit | ||||||
| 08 | nothwendig, mithin a priori und nicht blos nach empirischen Gesetzen, die | ||||||
| 09 | niemals apodictisch gewis, und allgemein zusammenhangen muß, so muß | ||||||
| 10 | iener 1. auf der freyen Willkühr beruhen, damit wir uns ihn selbst nach | ||||||
| 11 | der Idee des hochsten Guts machen können. 2. diese Freyheit muß zwar | ||||||
| 12 | unabhangigkeit von sinnlicher Nothigung seyn, aber doch nicht ohne alles | ||||||
| 13 | Gesetz. Also, muß da keine noch hohere Bewegungsgründe und ein hoheres | ||||||
| 14 | Gut gegeben worden, so muß es in der Freyheit bestehen nach Gesetzen, | ||||||
| 15 | einer durchgängigen Zusammenstimmung mit sich selbst, welche alsdenn | ||||||
| 16 | den Werth und die Würde der Person ausmachen wird. | ||||||
| 17 | In dem Bewußtsein hat der Mensch ursach, mit sich selbst zufrieden | ||||||
| 18 | zu seyn. Er hat die Empfanglichkeit aller Glückseeligkeit, das Vermögen | ||||||
| 19 | auch ohne Lebens=annehmlichkeiten zufrieden zu seyn und glücklich zu | ||||||
| 20 | machen. Dieses ist das intellectuelle der Glückseeligkeit. | ||||||
| 21 | In diesem Hauptstuhl ist nichts reales, kein Vergnügen als die Materie | ||||||
| 22 | der Glückseeligkeit, aber gleichwohl die formale Bedingung der Einheit, | ||||||
| 23 | welche jener Wesentlich ist, und ohne die die Selbstverachtung uns | ||||||
| 24 | das Wesentliche vom Werthe des Lebens, nämlich den Werth der Person, | ||||||
| 25 | wegnimmt. Sie ist als eine Spontaneität des Wohlbefindens. | ||||||
| 26 | Das Gute des Lebens oder die Glückseeligkeit: entweder wie sie erscheint, | ||||||
| 27 | oder wie sie ist. Das letztere wird durch moralische categorien vorgestellt, | ||||||
| 28 | die aber nicht auf besondere Gegenstände sondern die des Lebens | ||||||
| 29 | und der Welt gehen, aber um die Einheit derselben in einer einzigen moglichen | ||||||
| 30 | empirischen Glückseeligkeit festzusetzen. An sich selbst stellen sie nicht | ||||||
| 31 | etwas Gutes vor sondern blos die Form der Freyheit, die empirische data | ||||||
| 32 | zum wahren und selbständigen Guten zu nützen. | ||||||
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| 33 | Die Glückseeligkeit ist nicht etwas empfundenes sondern Gedachtes. | ||||||
| 34 | Es ist auch kein Gedanke, der aus der Erfahrung genommen | ||||||
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