Kant: AA XVIII, Metaphysik Zweiter Theil , Seite 321 |
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| 01 | Gegenwirkung aber beruht darauf, daß Ursache und Wirkung zur Sinnenwelt | |||||||||
| 02 | (zu den Erscheinungen) gehören, d.i. im relativen Raum vorgestellt | |||||||||
| 03 | werden; da dies nun bei den Wundern im Raume von der Ursache nicht | |||||||||
| 04 | gilt, so werden sie auch nicht unter dem Gesetz der Wirkung und Gegenwirkung | |||||||||
| 05 | stehen. Wird nun durch ein Wunder eine Bewegung gewirkt, | |||||||||
| 06 | so wird, da sie nicht unter dem Gesetze der Wirkung und Gegenwirkung | |||||||||
| 07 | steht, durch sie das centrum gravitatis der Welt verändert werden, d.i. | |||||||||
| 08 | mit andern Worten, die Welt würde sich im leeren Raume bewegen; eine | |||||||||
| 09 | Bewegung im leeren Raume aber ist ein Widerspruch, sie wäre nämlich | |||||||||
| 10 | die Relation eines Dinges zu einem Nichts, denn der leere Raum ist | |||||||||
| 11 | eine bloße Idee. | |||||||||
| 12 | Auf eine ähnliche Art wird bewiesen, daß es keine Wunder in Ansehung | |||||||||
| 13 | der Erscheinungen in der Zeit geben kann. Eine Erscheinung in | |||||||||
| 14 | der Zeit ist nämlich ein Wunder, wenn die Ursache derselben nicht in der | |||||||||
| 15 | Zeit gegeben werden kann, nicht unter den Bedingungen derselben steht. | |||||||||
| 16 | Da aber allein dadurch, daß beide Ursache und Wirkung zu den Erscheinungen | |||||||||
| 17 | gehören, die letztere in der relativen Zeit bestimmt werden | |||||||||
| 18 | kann, so wird dies bei einer Wirkung, die durch ein Wunder hervorgebracht | |||||||||
| 19 | wird, nicht geschehen können, weil ihre Ursache nicht zu den Erscheinungen | |||||||||
| 20 | gehört. Es wird also eine übernatürliche Begebenheit nicht | |||||||||
| 21 | in der relativen, sondern in der absoluten (leeren) Zeit bestimmt seyn. | |||||||||
| 22 | Eine Bestimmung in der leeren Zeit aber ist ein Widerspruch, weil zu einer | |||||||||
| 23 | jeden Relation zwei Correlata gegeben werden müssen. | |||||||||
| 24 | 2. Wunder ist eine Begebenheit, deren Grund nicht in der Natur zu | |||||||||
| 25 | finden ist. Es ist entweder miraculum rogorosum, das in einem Dinge | |||||||||
| 26 | außer der Welt (also nicht in der Natur) seinen Grund hat; oder miraculum | |||||||||
| 27 | comparativum, das zwar seinen Grund in einer Natur hat, aber | |||||||||
| 28 | in einer solchen, deren Gesetze wir nicht kennen; von der letztern Art sind | |||||||||
| 29 | die Dinge, die man den Geistern zuschreibt. Miraculum rigorosum ist | |||||||||
| 30 | entweder materiale, wo auch die Kraft, die das Wunder hervorbrachte, | |||||||||
| 31 | außerhalb der Welt ist, oder formale, wo die Kraft zwar in der Welt, | |||||||||
| 32 | die Bestimmung derselben aber außerhalb der Welt sich findet, z'.B. wenn | |||||||||
| 33 | man das Austrocknen des rothen Meeres beim Durchgang der Kinder | |||||||||
| 34 | Israel für ein Wunder hielt, so ist es ein miraculum materiale, wenn | |||||||||
| 35 | man es für eine unmittelbare Wirkung der Gottheit ausgiebt; hingegen | |||||||||
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