Kant: AA XII, Briefwechsel 1797 , Seite 197 |
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| 01 | gelegentlich zurückzusenden. Wenn Sie mein väterlicher Freund, | ||||||
| 02 | dem Hn. R. noch nicht auf die Übersendung seines engl. Werks geantwortet | ||||||
| 03 | haben: so werden Sie diesen Sie bis zum Enthusiasmus | ||||||
| 04 | verehrenden Mann, äusserst verbinden, wenn Sie es der Mühe werth | ||||||
| 05 | halten, der Sache mit einigen Worten zu gedenken. | ||||||
| 06 | Ihre Tugendlehre habe ich nun auch schon in Händen, u. ob ich | ||||||
| 07 | sie gleich noch nicht habe mit Genauigkeit lesen können; so habe ich | ||||||
| 08 | doch, noch ehe ich sie zum Buchbinder geschickt habe, schon die ganze | ||||||
| 09 | Einleitung und manches andere darin gelesen. Wie viel schöne Sachen | ||||||
| 10 | enthält dieses kleine Werk! - Nun wird man doch vielleicht einsehen | ||||||
| 11 | lernen, wie die reinen Principien ohne große Schwierigkeit auf die | ||||||
| 12 | menschlichen Verhältnisse angewandt werden können! Es ist unglaublich, | ||||||
| 13 | wie sehr sich die Vernunft der Herren, die sich einmahl an ein | ||||||
| 14 | coalistisches System gewöhnt haben, und die Naturphilosophie u. | ||||||
| 15 | Moralphilosophie vermengen, sträubt, die Simplicität einer reinen | ||||||
| 16 | Moralphilosophie einzusehen, u. die Nothwendigkeit derselben anzuerkennen. | ||||||
| 17 | Es ist fast ärgerlich solche Urtheile zu lesen, wie man z. E. | ||||||
| 18 | noch neuerdings in D. Reinhards Christlicher Moral antrift, u. dieses | ||||||
| 19 | um so mehr, da man in Sachsen diesem angesehenen Geistlichen so sehr | ||||||
| 20 | nachbetet. In dem 3ten St. der Annalen ist ein Versuch gemacht das | ||||||
| 21 | Unstatthafte eines solchen Systems, als Hr. R. einführen will, u. das | ||||||
| 22 | Unbegründete des Tadels der krit. Moral, aufzudecken. Die Bedenklichkeiten | ||||||
| 23 | des Rec. Ihres Naturrechts in den Annalen vertragen sich | ||||||
| 24 | vollkommen mit der Hochachtung, die derselbe gegen Sie hegt, u. werden | ||||||
| 25 | vielleicht Anlaß geben die dort berührten Punkte mehr ins Licht zu | ||||||
| 26 | setzen. | ||||||
| 27 | Hr. Prof. Beck hat mir die Geschichte der Differenz mitgetheilt, | ||||||
| 28 | welche auf Veranlassung des Hn. Hofpred. Schulz Bericht von seinem | ||||||
| 29 | Standpunkt, zwischen Ihnen u. ihm entstanden ist. Daß nun Prof. | ||||||
| 30 | Beck in der festen Überzeugung lebt, die Critik der Vernunft vollkommen, | ||||||
| 31 | so wie sie von Ihnen hervorgebracht ist, gefaßt u. dargestellt | ||||||
| 32 | zu haben, obgleich nach einer andern Methode, ist ganz gewiß. Ich | ||||||
| 33 | glaube auch sicher, daß seine Darstellung sich sehr gut mit Ihren Gedanken | ||||||
| 34 | vereinigen läßt. Ob aber, wie er meint, seine Darstellung | ||||||
| 35 | leichter u. heller sey, u. mehr gegen Misverstand verwahre, daran | ||||||
| 36 | zweifle ich sehr, und habe diese meine Meinung ihm selbst oft erklärt. | ||||||
| 37 | Eben darum hätte ich auch lieber gewünscht, der Hr. R. hätte sich | ||||||
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