Kant: AA IX, Immanuel Kant über ... , Seite 481 |
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| 01 | Welt fortkommen kann, und gut oder böse ist, je nachdem er es am zuträglichsten | ||||||
| 02 | findet. | ||||||
| 03 | Die Maximen müssen aus dem Menschen selbst entstehen. Bei der | ||||||
| 04 | moralischen Cultur soll man schon frühe den Kindern Begriffe beizubringen | ||||||
| 05 | suchen von dem, was gut oder böse ist. Wenn man Moralität gründen | ||||||
| 06 | will: so muß man nicht strafen. Moralität ist etwas so Heiliges und Erhabenes, | ||||||
| 07 | daß man sie nicht so wegwerfen und mit Disciplin in einen | ||||||
| 08 | Rang setzen darf. Die erste Bemühung bei der moralischen Erziehung | ||||||
| 09 | ist, einen Charakter zu gründen. Der Charakter besteht in der Fertigkeit, | ||||||
| 10 | nach Maximen zu handeln. Im Anfange sind es Schulmaximen und | ||||||
| 11 | nachher Maximen der Menschheit. Im Anfange gehorcht das Kind Gesetzen. | ||||||
| 12 | Maximen sind auch Gesetze, aber subjective; sie entspringen aus | ||||||
| 13 | dem eignen Verstande des Menschen. Keine Übertretung des Schulgesetzes | ||||||
| 14 | aber muß ungestraft hingehen, obwohl die Strafe immer der Übertretung | ||||||
| 15 | angemessen sein muß. | ||||||
| 16 | Wenn man bei Kindern einen Charakter bilden will, so kommt es viel | ||||||
| 17 | darauf an, daß man ihnen in allen Dingen einen gewissen Plan, gewisse | ||||||
| 18 | Gesetze bemerkbar mache, die auf das genaueste befolgt werden müssen. So | ||||||
| 19 | setzt man ihnen z. E. eine Zeit zum Schlafe, zur Arbeit, zur Ergötzung | ||||||
| 20 | fest, und diese muß man dann auch nicht verlängern oder verkürzen. Bei | ||||||
| 21 | gleichgültigen Dingen kann man Kindern die Wahl lassen, nur müssen sie | ||||||
| 22 | das, was sie sich einmal zum Gesetze gemacht haben, nachher immer befolgen. | ||||||
| 23 | - Man muß bei Kindern aber nicht den Charakter eines Bürgers, | ||||||
| 24 | sondern den Charakter eines Kindes bilden. | ||||||
| 25 | Menschen, die sich nicht gewisse Regeln vorgesetzt haben, sind unzuverlässig, | ||||||
| 26 | man weiß sich oft nicht in sie zu finden, und man kann nie | ||||||
| 27 | recht wissen, wie man mit ihnen dran ist. Zwar tadelt man Leute häufig, | ||||||
| 28 | die immer nach Regeln handeln, z. E. den Mann, der nach der Uhr jeder | ||||||
| 29 | Handlung eine gewisse Zeit festgesetzt hat, aber oft ist dieser Tadel unbillig | ||||||
| 30 | und diese Abgemessenheit, ob sie gleich nach Peinlichkeit aussieht, eine | ||||||
| 31 | Disposition zum Charakter. | ||||||
| 32 | Zum Charakter eines Kindes, besonders eines Schülers, gehört vor | ||||||
| 33 | allen Dingen Gehorsam. Dieser ist zwiefach, erstens: ein Gehorsam gegen | ||||||
| 34 | den absoluten, dann zweitens aber auch gegen den für vernünftig | ||||||
| 35 | und gut erkannten Willen eines Führers. Der Gehorsam kann abgeleitet | ||||||
| 36 | werden aus dem Zwange, und dann ist er absolut, oder aus dem | ||||||
| 37 | Zutrauen, und dann ist er von der andern Art. Dieser freiwillige | ||||||
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