Kant: AA IX, Immanuel Kants physische ... , Seite 244 |
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| 01 | da es doch zu Paris auf 28 Sekunden stieg: so glaubte man eingesehen zu | ||||||
| 02 | haben, daß die Schwierigkeit Athem zu holen, sowohl in der Bangigkeit, | ||||||
| 03 | die man empfindet, wenn man an die Rückkehr denkt, als auch | ||||||
| 04 | in der Structur der Muskeln, die durch die viele Bewegung und das | ||||||
| 05 | Anspannen der Lunge angegriffen werden, liege. Daß der beschwerliche | ||||||
| 06 | Athemzug nicht sowohl aus der Dünnigkeit der Luft, als vielmehr | ||||||
| 07 | von der Ermüdung herrühre, hat man auch daraus schließen | ||||||
| 08 | wollen, daß man die Adler, die doch von der Luft müssen getragen | ||||||
| 09 | werden, noch über den höchsten Bergen fort fliegen sah. Die dünnere | ||||||
| 10 | Luft ist vielmehr eine Quelle der Munterkeit. | ||||||
| 11 | 2. Sollen die Leute, die um und auf den Bergen wohnen, sehr stark | ||||||
| 12 | und tapfer sein und auf alle Weise ihre Freiheit zu behaupten suchen. | ||||||
| 13 | Allein dieses rührt wohl vornehmlich daher, weil es in dergleichen | ||||||
| 14 | Gegenden sehr leicht ist, sich mit wenigen Leuten gegen große Heere | ||||||
| 15 | zu vertheidigen, und weil ferner die Berge auf ihren Spitzen unbewohnt | ||||||
| 16 | und unbewohnbar sind, auch in den Thälern weniger Reichthümer | ||||||
| 17 | zu hoffen sind, sich also Niemand so leicht nach einem Aufenthalte | ||||||
| 18 | in solchen Gegenden sehnt. Auch ziehen die Bewohner von dergleichen | ||||||
| 19 | Gebirgländern beständig umher. Diejenigen Völker, welche | ||||||
| 20 | von Pflanzen leben, sind am freiesten, weil sie solche überall vorfinden. | ||||||
| 21 | Diejenigen, welche von Pferden und von der Milch derselben, | ||||||
| 22 | wie die Tataren, ihre Nahrung hernehmen, folgen zunächst nach | ||||||
| 23 | ihnen. Weniger frei aber sind diejenigen, die von Hausthieren und | ||||||
| 24 | der eigentlichen Viehuucht leben. Und die größten Sklaven von allen | ||||||
| 25 | sind endlich solche Völker, die den Ackerbau treiben, indem sie nicht | ||||||
| 26 | überall ein dazu bequemes Land antreffen. | ||||||
| 27 | Demnach scheint es denn, daß der besondere Charakter der Bewohner | ||||||
| 28 | bergichter Gegenden nicht sowohl in der eigenthümlichen Beschaffenheit | ||||||
| 29 | der hier herrschenden Luft liege. Der merkliche Unterschied | ||||||
| 30 | zwischen den Bergschotten und Engländern und den Einwohnern | ||||||
| 31 | der flachen Gegenden Schottlands rührt aber daher, weil letztere | ||||||
| 32 | sehr weichlich erzogen werden. | ||||||
| 33 | 3. Soll die Luft in dergleichen bergichten Gegenden die Ursache von dem | ||||||
| 34 | Heimweh, namentlich der Schweizer sein, indem diese, wenn sie in | ||||||
| 35 | andere Länder kommen, besonders bei Anhörung ihrer Nationalgesänge, | ||||||
| 36 | melancholisch werden, ja, wenn man ihnen nicht erlaubt, in | ||||||
| 37 | ihre Heimath zurückzukehren, dahin sterben. Allein dieses rührt her, | ||||||
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